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Der Gipfel - Tragoedie am Mount Everest

Der Gipfel - Tragoedie am Mount Everest

Titel: Der Gipfel - Tragoedie am Mount Everest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anatoli Boukreev , G. Weston Dewalt
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geringen Höhenunterschied zwischen Gorak Shep und Basislager nicht sonderlich empfindlich reagiert. Ihre Atemfrequenz in Ruhestellung war wieder normal, aber jede Anstrengung führte sofort zu beklemmender Atemnot. Eine Teilnehmerin sagte, daß sie im Basislager, wo der Sauerstoffgehalt der Luft nur halb so groß ist wie auf Meereshöhe, das Gefühl hätte, nur eine Lunge zu haben und sich wie in einem leichten Rausch zu bewegen.
    Einige hatten noch mit Übelkeit und Kopfschmerzen zu kämpfen, aber niemand beklagte sich besonders, weil jeder einen möglichst vorteilhaften Eindruck erwecken wollte. Keiner wollte sagen, »daß er sich beschissen fühlte«, wie ein Basislagerbewohner die Situation treffend schilderte.
    Fischer selbst, der seinen Team-Mitgliedern predigte: »Es ist die Einstellung, und nicht die Höhe«, wirkte kräftig und gesund und schien keine Probleme zu haben. Jane Bromet sah es anders. Der äußere Eindruck hätte über Fischers wahre Verfassung hinweggetäuscht. »Am Morgen brauchte er nach dem Erwachen an die fünf Minuten, um endlich auf die Beine zu kommen. Scott war fix und fertig.« Weiter sagte sie, daß er Diamox nahm, 125 Milligramm täglich, um seine Akklimatisation zu beschleunigen. 19
    Für Beidleman und alle Kunden mit Ausnahme Sandy Hill Pittmans war es die erste Durchsteigung des Eisbruchs. So locker und entspannt sich alle auch gaben, die meisten kannten die Geschichte des Hindernisses, das nun vor ihnen lag: Seit Beginn der Zählung waren neunzehn Menschen im Eisbruch umgekommen.
    Der Eisbruch, eine bedrohliche, von spitzen Zacken starrende blaue Eismasse auf einem zum Everest-Basislager abfallenden Hang, ist in ständiger Bewegung. Von der Schwerkraft nach unten gezogen, zerbricht und zerbirst das Eis in einzelne Teile und bildet turmartige, Seracs genannte Pfeiler, manche höher als zehnstöckige Häuser. Diese Seracs werden von einem Netzwerk aus Rissen und Spalten durchzogen, die über hundert Meter tief reichen können.
    Um den Eisbruch hinter sich zu bringen und zum Lager II auf 6100 Meter zu gelangen, muß man etwa siebenhundert Höhenmeter über eine Distanz von 1500 Meter überwinden. Als Hilfestellung für die Bergsteiger wird der Eisbruch vor jeder Klettersaison von einem Trupp Sherpas versichert. Im März 1996 bekamen sie Hilfe von Henry Todd und dem Briten Mal Duff, wie Todd Führer einer kommerziellen Expedition.
    Der »Eisbruch-Doktor«, wie der Anführer der Sherpas im Basislager genannt wird, überwacht die gefahrvolle Arbeit. Aluminiumleitern werden angebracht, vertikale für den Aufstieg, horizontale zur Überbrückung der Spalten, von denen manche so breit klaffen, daß drei oder vier Leitern nötig sind, die mit den überstehenden Enden aneinandergelegt und mit Seilen festgezurrt werden. Die Leistung des Kletterers besteht nun darin, die Leitern zu überqueren, während er an Fixseilen, Seilgeländern, gesichert ist. Das Sichern geschieht meist mittels eines Karabiners, der an einer am Klettergürtel befestigten Reepschnur festgemacht wird. Den Karabiner, einen ovalen oder D-förmigen, kettengliedartigen Leichtmetallring, kann man auf- und zuschnappen lassen und hängt sich damit an einem Seil ein bzw. aus. Seltener und vor allem bei vertikalen Aufstiegen wird die Jümar-Steigklemme angewendet, ein Metallring mit automatischem Schließmechanismus, den man in der Hand hält. Das Fixseil gleitet durch den Jümar, den man vor sich herschiebt. Zieht man den Jümar zum Körper (oder stürzt man rücklings ab), rastet der Blockiermechanismus ein. Im Zug-und-Druck-Rhythmus zieht man sich so Griff um Griff die Seile entlang.
    Während man sich so den abgesteckten Kurs hinaufkämpft, hört man ringsum das Krachen, Splittern und Ächzen des Eises, das wie das Umfeld des Basislagers in ständiger Bewegung ist. Man betet darum, keines dieser Geräusche möge eine katastrophale Verschiebung ankündigen, etwa eine, die urplötzlich eine Spalte unter einer Leiter vergrößert oder einen kristallenen Turm von den Ausmaßen eines Bankpalastes auf die Route stürzen läßt.
    Fischer hatte seinen Kunden klargemacht, daß sie den Eisbruch von unten bis oben in weniger als vier Stunden durchsteigen mußten, um sich für das Klettern in größeren Höhen zu qualifizieren. Das Ziel war hoch gesteckt, und Klev Schoening meinte dazu: »Die Vorspeise haben wir hinter uns, jetzt stecken wir mitten im üppigen Hauptgang!«
    Die Anweisungen zur Bewältigung des Eisbruchs waren kurz und

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