Der Gipfel - Tragoedie am Mount Everest
verbrachten Tagen hatte Kruse sich von der Gruppe distanziert, sich »ungesellig« gezeigt und »seine eigenen Runden gedreht«. Fischer wußte, daß Kruse zu kämpfen hatte, »aber es nervte Scott von Anfang an. Und Scott sagte nur: »Er muß es mit sich selbst ausmachen.« Fischer vertrat die Meinung, Kruse müsse sich durch das Problem allein durchbeißen. Ein Beobachter sah es so: »Ich glaube, Dale litt die ganze Zeit über. Seine emotionale Verfassung machte ihn sicher zum schwächsten Glied unseres Teams, obwohl er nie offensiv wurde. Er war nur sehr, sehr still. Könnte sein, daß die Höhe ihm zu schaffen machte. Ich glaube, daß er über 5000 Meter unter der dünnen Luft litt. Er sagte aber kein Wort. Man wurde wirklich nicht schlau aus ihm.«
Wie an die Höhe galt es auch, sich aneinander zu gewöhnen. »Ehe wir nach Kathmandu kamen, kannten wir einander nicht so gut«, sagte einer. »Es war wie ein Überraschungs Rendezvous. Anfänglich hat man nur eine gemeinsame Motivation: den Berg. Erst kommt es zu einem gegenseitigen Abtasten, bei dem man sich beschnuppert. In größerer Höhe möchte man dann schon wissen, mit wem man klettert. Wenn es brenzlig wird, kann man nicht einfach ein Taxi rufen und nach Hause fahren. Wenn man bedenkt, daß wir kunterbunt zusammengewürfelt waren, war es erstaunlich, daß wir mit wenigen Ausnahmen eine relativ homogene Gruppe bildeten.«
Übereinstimmend wird Tim Madsen als zurückhaltend geschildert, als Einzelgänger. »Still, daß es nicht stiller geht«, wie ihn einer seiner Kameraden charakterisierte. »Ähnlich wie Dale, wie ein geschlossenes Buch.« Obwohl Madsen und Kruse »nicht paßten«, kamen sie mit allen gut aus. Tatsächlich erinnerte sich einer der Mountain-Madness-Leute, daß alle außer Sandy Pittman und Lene Gammelgaard »verdammt gut« miteinander konnten.
»Mir fiel auf«, sagte einer aus dem Basislager, »daß sich nach einer Weile ein Konkurrenzkampf zwischen Sandy und Lene entspann. Lene hielt Sandy für eine Angeberin. Sandy ist Multimillionärin, die mit Namen wie Ivana Trump und Tom Brokaw um sich schmeißt. Sie renommiert mit ihren Bekannten, gibt mit ihrer Schreiberei an, pocht auf ihren großen Einfluß. Andererseits klopft Lene immer ihre Sprüche von Freiheit und Unabhängigkeit. Ich glaube, die Motivation der beiden beruhte nicht so sehr auf der Liebe zum Bergsteigen, sondern auf der Suche nach Identität. Neal war auf beide schlecht zu sprechen. Nicht, daß er sich aufgeregt hätte, aber er mußte richtig die Zähne zusammenbeißen, um es mit diesen zwei Frauenzimmern auszuhalten. Neal wurde mit der Zeit richtig sauer.«
Aus derselben Quelle verlautete, daß sich zu Beidlemans Schwierigkeiten mit Sandy auch deren Probleme mit ihrer Elektronik gesellten. »Sie kannte sich mit ihren Geräten nicht aus. Ich wette, daß er (Beidleman) mehr als fünfundzwanzig Stunden für ihren Kram vergeudet hat, so daß ich zu ihm sagte ›Neal, ehe du noch mehr Zeit vertust, ruf NBC an und verlange deinen Stundensatz. Es geht um NBC , um Himmels willen.‹ Man hat ihr keinen Techniker als Beistand nachgeschickt. ›Sollen die doch dafür zahlen‹, sagte ich. Er aber sagte ›Kommt nicht in Frage. ‹ Und ich dachte mir: ›Wie kann man so blöd sein!‹«
Während all dem »versuchte Scott, cool zu bleiben«, sagte ein Vertrauter Fischers. »Er wollte sich nicht in ihre (Sandys und Lenes) Querelen hineinziehen lassen.« Nur im engsten Kreis ließ Fischer sich zu dem Eingeständnis herbei, daß es vielleicht ein Fehler gewesen war, Sandy mitzunehmen. »Sie war schon ein starkes Stück. Kam sie nicht bis zum Gipfel, würde sie die Schuld ihm anlasten. Schaffte sie es, würde sie ihn mit keinem Wort erwähnen. Wir haben sehr eingehend darüber gesprochen.«
Meine Beziehungen zu den Team-Mitgliedern sollten sich erst im Lauf der Expedition entwickeln und sehr unterschiedlich sein. Durch unsere Makalu-Expedition vom Frühjahr 1994 kannte ich Neil Beidleman und Martin Adams recht gut, und für Lene Gammelgaard war ich so etwas wie eine Respektsperson. Sie hatte durch Michael Joergensen von mir gehört, der im Vorjahr mit Henry Todds Expedition als erster Däne den Everest bestiegen hatte. Lene war wie ich nicht aus den USA, was sie vom Rest der Gruppe gewaltig unterschied. Überdies war sie nicht besonders gut situiert und hatte nur einen Teil ihrer Expeditionskosten aufbringen können. Dies alles zusammen isolierte sie ein wenig von den anderen. Die
Weitere Kostenlose Bücher