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Der Gipfel - Tragoedie am Mount Everest

Der Gipfel - Tragoedie am Mount Everest

Titel: Der Gipfel - Tragoedie am Mount Everest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anatoli Boukreev , G. Weston Dewalt
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holte Fischer knapp oberhalb des Balkons ein, und Fischer, der schwer zu kämpfen hatte, sagte zu ihm: »Ich bin sehr krank, Lopsang. Ich bin so gut wie tot.«
    Ohne etwas von den Problemen Fischers und Hansens zu ahnen, wußte Boukreev, daß den Mountain-Madness-Leuten, von denen noch kein einziger unten angekommen war, bald der Sauerstoff ausgehen würde.
     
    Gegen achtzehn Uhr war mir klar, daß ich rauf mußte. Also begann ich mit meinen Vorbereitungen, und um achtzehn Uhr dreißig machte ich vor dem Zelt meine Steigeisen an den Schuhen fest. In der Höhe verschlechterte sich das Wetter, aber am Südsattel war es noch in Ordnung, mit stärkerem Wind zwar, aber soweit in Ordnung.
    Boukreev schulterte seinen Rucksack mit den drei Sauerstoffflaschen samt Maske und Regler, in einer Hand den Pickel, in der anderen einen Skistock. Er ging den Weg zurück, den er gekommen war, zu den Fixseilen, die in 8200 Metern Höhe begannen. Keine zehn bis fünfzehn Minuten von seinem Zelt entfernt, fielen die Wolken, die über ihm gedräut hatten, auf den Südsattel herunter. Fast gleichzeitig prasselte ihm von der Seite Schnee entgegen, getrieben von einem Wind, der mit ungefähr achtzig Stundenkilometern daherfegte. Der Himmel verfärbte sich von Bleigrau zu einem Weiß.
     
    Mir wurde klar, daß meine Reserven vielleicht nicht ausreichen würden, um die Situation zu meistern, deshalb setzte ich die Sauerstoffmaske auf. Als ich mich umdrehte, um festzustellen, ob ich unser Lager noch sehen konnte, bemerkte ich, daß man in Lager IV den Kletterern, die noch immer nicht zurückgekommen waren, mit Taschenlampen Zeichen zu geben versuchte. Ich setzte meine Suche fort. Als ich auf ein steiles Eisstück traf wußte ich sofort, daß es hier zu den Fixseilen ging. Die Sicht war aber so schlecht, daß ich sie nicht finden konnte. Mit dem Pickel sichernd, tastete ich mich vorsichtig weiter. Ich wußte, daß ich nicht zu weit von meiner Route abweichen durfte, da dann die Gefahr bestand, auszurutschen und über die Lhotse-Flanke abzustürzen, was mein Ende bedeutet hätte.
     
    Während Boukreev seine verzweifelte Suche nach den Fixseilen fortsetzte, da er glaubte, sie würden ihn zu den Vermißten führen, beschlug auch noch seine Gletscherbrille. Beim Ausatmen tritt die Luft dort aus, wo die Maske nicht dicht abschließt, und die relativ wärmere ausgeatmete Luft kondensiert auf den Gläsern und gefriert sofort. Boukreev kletterte buchstäblich blindlings. Schließlich nahm er die Sauerstoffmaske ab. Mitunter genügte ein Schritt aufwärts, daß er die Lichter unter sich aus den Augen verlor. Ein Schritt abwärts stellte den Sichtkontakt wieder her. Bounkreevs Leben hing gewissermaßen an einem Lichtstrahl. Es wäre Wahnsinn gewesen, weiterzugehen und die Suche fortzusetzen. Als Toter würde er niemandem mehr helfen können. Überdies rechnete er mit der Möglichkeit, daß die Gruppe sich bereits in Sicherheit befand, nachdem sie, eine kurze, örtlich begrenzte Aufhellung des Nebels nützend, irgendwie an ihm vorüber ins Lager gelangt war. Wenn nicht, konnte er sich ausruhen und dann einen neuen Versuch unternehmen.
     
    Als ich zurückging, verließ mich etwa dreißig Meter vor den Zelten meine letzte Kraft. Ich nahm den Rucksack ab, setzte mich darauf und stützte den Kopf in die Hände. Ich versuchte zu überlegen und auszuruhen. Und ich versuchte, mich in die Situation der anderen hineinzudenken. »Wie ist ihre Lage, ihre Verfassung?« Der Wind trieb Schnee gegen meinen Rücken, aber ich konnte mich nicht rühren. Wie lange ich dasaß, weiß ich nicht. Hier war der Punkt, an dem ich vor Müdigkeit und Entkräftung jegliches Zeitgefühl verlor.
    Während ich so dasaß, kam ein Unbekannter aus Dunkelheit und Schnee auf mich zu. Er sprach mit mir wie mit einem Freund, aber ich erkannte ihn nicht. Erst dachte ich, er wäre von Rob Halls Expedition oder von der taiwanesischen, aber sicher war ich nicht. »Brauchst du Hilfe?« fragte er mich, und ich sagte: »Nein, alles okay.« Darauf sagte er, er müsse wieder Lichtzeichen geben, und ich sagte, ich würde es bis zu meinem Zelt schaffen. Nach einer Weile, ich weiß nicht wann, fand ich zu meinem Zelt, nahm Rucksack und Steigeisen ab, klopfte Schnee und Eis von den Stiefeln und kroch total erschöpft ins Zelt. Es war leer. Niemand war gekommen. Niemand.
     
    Boukreev war in seinem Zelt allein. Einen Steinwurf weiter war ein anderer Bergsteiger, Lou Kasischke vom Hall-Team ebenfalls

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