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Der Gipfel - Tragoedie am Mount Everest

Der Gipfel - Tragoedie am Mount Everest

Titel: Der Gipfel - Tragoedie am Mount Everest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anatoli Boukreev , G. Weston Dewalt
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allein. Seine Zeltgefährten Andy Harris, Beck Weathers und Doug Hansen waren noch nicht im Lager eingetroffen.
    »Um sechzehn Uhr dreißig oder siebzehn Uhr war ich wieder im Lager«, sagte Kasischke, »und brach in meinem Schlafsack vor Erschöpfung zusammen. Nicht einen Funken Energie hatte ich mehr in mir. Später erwachte ich oder kam zur mir, es war fürchterlich. Eigentlich war es der Sturm, der mich weckte, er schleuderte mich in meinem Zelt hin und her. Er fuhr unter den Zeltboden, hob mich in meinem Schlafsack hoch und ließ mich wieder fallen, stieß mich hin und her. Und ich erwachte und konnte nichts sehen! Das war der schrecklichste Augenblick meines Lebens, ich war total konfus. Ich wußte nicht, wo ich war, wie spät es war, welcher Tag es war, warum ich allein war und warum ich nicht sehen konnte. Ich brauchte mehrere Minuten, bis ich das alles beisammen hatte. Moment, du bist im Hochlager, du bist schneeblind, und der Sturm bläst mit voller Kraft. Ich versuchte, ein wenig zurückzudenken, rechnete nach und kam zu dem Schluß, daß es zwanzig oder einundzwanzig Uhr sein könnte. Ob meine Zeltgenossen da sind? Keiner da. Stundenlang ging das so. Ich bezwang meine Angst, weil ich wußte, daß ich in meinem Schlafsack bleiben mußte, daß ich nicht hinausdurfte, wenn ich überleben wollte. Warum ich allein war, wußte ich nicht. Ich rief um Hilfe, merkte aber bald, daß niemand mich hören konnte. Es war, als würde man von hundert Güterwaggons überrollt, und ich schrie, aber auch in unmittelbarer Nähe hätte mich niemand gehört.«

18. Kapitel Gehen oder Kriechen
     
    Am Ende seiner Rutschpartie griff Adams unterhalb des Balkons in 8350 Metern Höhe nach der letzten Länge Fixseile und erreichte ihr Ende auf 8200 Metern irgendwann, nachdem Boukreev seinen ersten Vorstoß in den Sturm beendet hatte. Auf dieser Seilstrecke hatte er weder Krakauer noch andere gesehen. Er war allein.
    »Ich ging über den Südsattel und kam gut voran. Dann geriet ich unversehens in eine schmale Spalte. Ich konnte mich herausarbeiten, aber inzwischen war es dunkel geworden. Ein Stück weiter fiel ich wieder in eine Spalte, und diesmal war es schlimmer. Mein rechtes Bein und mein rechter Arm gerieten hinein, und ich dachte schon, das war’s wohl, und getraute mich kaum zu rühren. Als ich mich umsah, entdeckte ich rechts in Augenhöhe ein massives Stück blaues Eis. Ich holte mit meinem Pickel aus und fand Halt. Irgendwie schaffte ich es, mich herauszuwinden, raffte mich auf und stieg weiter bergab.«
    Als Adams sich aus der zweiten Spalte befreite, war sein Gesicht schnee- und eisverkrustet, und seine Lippen waren fahlblau wie die eines Toten.
    »Kurz nachdem ich weiterging«, erinnerte sich Adams, »sah ich das Licht einer Stirnlampe und ich stieß auf jemanden, der etwa hundert Meter von Lager IV entfernt dasaß. Ich frage mich: ›Wer ist das?‹ Ich dachte, vielleicht weiß er, wo die Zelte sind, und sprach ihn an.«
    Adams war auf Jon Krakauer gestoßen, doch in ihrem schwer angeschlagenen Zustand erkannte keiner den anderen in der Dunkelheit. Adams erinnerte sich, daß als Antwort auf seine Frage »der Bursche« – Krakauer – nach rechts zeigte, und Adams antwortete: »Ja, das dachte ich mir.« Dann fragte er: »Was machst du hier?«
    Adams, der glaubte, auf den Teilnehmer einer auf den Aufstieg wartenden Expedition gestoßen zu sein, der vom Lager IV heraufgekommen war, reagierte ziemlich konfus, als der »Bursche« sagte: »Gib acht. Es ist steiler, als es aussieht. Paß bloß auf. Geh zurück zu den Zelten und hol Seil und Eisschrauben.« 34
    »Ich dachte«, sagte Adams, »da komme ich halbtot den Berg herunter; und dieser Kerl, der den ganzen Tag im Lager auf der faulen Haut lag, hat nun die Stirn zu verlangen, ich solle hinuntergehen, ein Seil holen und wieder aufsteigen, um ihm zu helfen! Das sollte wohl ein Scherz sein!« Adams war, nur seinem Instinkt und seiner Erfahrung folgend, ohne Sauerstoff abgestiegen und nun fast am Ende seiner Kräfte.
    Adams begutachtete den Eishang, vor dem der andere ihn gewarnt hatte, hielt ihn aber nicht für besonders gefährlich. »Es war schon ein bißchen Mut nötig«, sagte er. »Man mußte achtgeben, aber es war keine große Sache, nicht gefährlicher als ein Steilhang an einem Paß in Colorado. Man konnte sehen, wo der Hang flach auslief. Es war keine ausgesetzte Stelle.«
    Adams tat ein, zwei Schritte hangabwärts, strauchelte, fiel kopfüber und rutschte auf dem

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