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Der Gipfel - Tragoedie am Mount Everest

Der Gipfel - Tragoedie am Mount Everest

Titel: Der Gipfel - Tragoedie am Mount Everest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anatoli Boukreev , G. Weston Dewalt
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ich brauche es nicht‹, aber er sah, daß ich vor Sauerstoffmangel schon blau angelaufen war.«
    Am Ende der Fixseile seien sie und Klev nach rechts gegangen, »da wir uns irgendwie einig waren, daß das Lager dort sein mußte. Aber dann sahen wir mehrere Lichter auf der linken Seite und dachten: ›Na gut, wenn dort so viele sind, halten wir uns an diese Gruppe, anstatt hier weiterzugehen.‹ Später sollten wir merken, daß es die falsche Entscheidung war.«
    Ein »verzweifelter Haufen«, wie Beidleman es später nennen würde, formierte sich. Lene Gammelgaard erinnerte sich, daß am Höhepunkt »Beck Weathers, Yasuko Namba, Tim, Charlotte, Sandy, Neal, Klev und ich sowie zwei oder drei Sherpas dazugehörten.« Beidleman nannte noch Mike Groom als Mitglied dieser Gruppe. Obwohl zwei Bergführer unter ihnen waren, gab es keinen eindeutigen Führer.
    »In dieser Situation ging es nicht um Führer oder Nicht-Führer oder Geführte«, sagte Beidleman. »Die Leute hatten gegen den Wind zu kämpfen, und das Fortkommen hing davon ab, ob jemand eine Stirnlampe hatte. Einige Male rief ich laut, daß wir einen Führer und eine Stirnlampe brauchten, nach der wir uns richten konnten, um nicht ziellos herumzuirren. Meine Absicht war es, nicht direkt zum Lager IV abzusteigen, obwohl ich am Ende der Fixseile ganz kurz sah, wo es sich befand. Ich hatte das Gelände von oben eingesehen, ehe der Sturm voll einsetzte, und ich hielt es für den Fall eines schweren Unwetters für günstiger, der Lhotse-Flanke und dem Überhang auszuweichen.«
    Als Beidleman die Richtung an die Gruppe durchgegeben hatte, brachte er sie von der Route ab, über die Krakauer, Adams und Boukreev abgestiegen waren, und führte sie zur Ostseite des Südsattels. Dort war der Abstieg nicht so steil, und die Kletterer liefen nicht Gefahr, über die Lhotse-Flanke abzustürzen.
    »Ich hatte weiterhin die Japanerin am Arm«, sagte Beidleman, »und ich glaube, hinter mir kamen Sandy, Charlotte und Tim. Mike Groom und Beck waren ein Stück vor uns. Zu diesem Zeitpunkt waren die beiden Sherpas die schnellsten, und es sah aus, als würden sie vor uns in mehrere Richtungen ausschwärmen oder zumindest die Richtung oft ändern. Ich versuchte mich immer wieder zu ermahnen, meine Schritte genau zu setzen und mich an den Hang zu halten, der nicht hoch war und uns zu einem Sattel führen würde, wo ein deutliches Felsband verläuft, das den Sattel kreuzt. Hatten wir diesen Felsen gefunden, brauchten wir uns nur rechts zu halten, innerhalb der Felsen abwärts zu gehen, und wir würden auf das Lager stoßen – oder auf den Müll rundherum. Diesen Plan hielt ich damals für das vernünftigste. Es war Sturm und die Leute wurden von den Böen hin- und hergeschoben und irrten umher, und ich konnte nicht nach vorne an die Spitze der Gruppe, weil ich die Japanerin mitschleppte. Meine Stirnlampe hatte ich noch immer nicht herausholen können. Ich glaube, daß wir zu schräg gingen. Als wir vom Hang abkamen, verlor ich die Orientierung, ich wußte nicht mehr, in welche Richtung wir uns halten sollten. Man konnte sich nicht mehr nach dem Gelände richten.
    Eine Weile wanderten wir so in der Gruppe dahin. Wie lange, weiß ich nicht. Mir kam es sehr lange vor, und wir kamen auch nicht rasch vorwärts. Immer wieder übernahm ein anderer die Spitze. Wir schrien ununterbrochen, um den Kontakt zu halten und zusammenzubleiben. Wenn jemand sich von der Gruppe trennen wollte, um das Lager auf eigene Faust zu suchen, mußte er ein Riesenglück haben, um es zu finden. Wahrscheinlich aber würde er sich völlig verlaufen.
    An einem Punkt dieser Irrwanderung gerieten wir wohl auf die tibetische Seite des Südsattels. Das ahnte ich, obwohl mir der Sauerstoff schon lange ausgegangen war. Alle stolperten umher, und es fiel einem schwer, zu denken und während des Gehens irgendwelche Schlüsse zu ziehen, über die Windrichtung oder so. Es war so weiß, als bewegte man sich im Innern einer Milchflasche. Es stürmte – ich fragte die Leute und versuchte die Windgeschwindigkeit zu schätzen – mindestens sechzig Stundenkilometer mit Böen von vielleicht hundertzwanzig oder mehr. Das reichte, um uns etliche Male umzublasen. Irgendwann während dieses Marsches, vielleicht nach einer Stunde, hatte uns die Kälte vollends im Griff, und alle Gesichter waren eisverkrustet. Vielleicht war wieder eine Stirnlampe ausgegangen. Wir befanden uns auf schwierigem, mit Fels durchsetztem Eis. Auf den Absturz vor uns

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