Der Gipfel
machten, redete ich ihm nun zu, sich auf den Abstieg einzustellen.
Schließlich ließ Kruse sich überzeugen, packte seine Sachen zusammen und zog sich an. Als Boukreev sah, wie er sich bewegte, war er nicht nur besorgt, sondern alarmiert, da Kruse »wacklig war und sich kaum auf den Beinen halten konnte«. Nun mußte man mit dem Schlimmsten rechnen. Kruse war groß, viel größer als Boukreev, und hatte seine Bewegungen nicht unter Kontrolle. Stürzte Kruse, war es ungewiß, ob Boukreev imstande sein würde, ihm wieder auf die Beine zu helfen und ihn sicher hinunter ins Lager II zu bringen.
Ich sicherte Dale an den Fixseilen, allerdings unter erheblichen Schwierigkeiten. Ob daran sein Zustand oder meine Verständigungsprobleme schuld waren, weiß ich nicht, doch dauerte es eine Weile, bis ich ihm klargemacht hatte, wie er sich festmachen und mit mir absteigen sollte. Als wir unseren Abstieg begannen, kamen zum Glück Scott und Neal in Sicht. Scott eilte mir sofort zu Hilfe, als er Dales Zustand sah.
Wir entschieden, Dale zu zweit hinunterzuschaffen, während Neal in Lager III bleiben sollte, da er für seine Akklimatisation eine Übernachtung brauchte.
Fischer, der Kruse mit einem an seinem Klettergürtel befestigten Seil sicherte, ging beim Abstieg als erster. Er wiederum war an Boukreev gesichert, der hinter den beiden ging. Ihm folgte Lene Gammelgaard, während Sandy Pittman trotz Boukreevs Einwendungen oben geblieben war.
Um 6900 Meter rappelte Kruse sich auf, kam zu sich und hatte nun wieder Gewalt über seine Bewegungen. Als wir um siebzehn Uhr den Fuß der Lhotse-Flanke erreicht hatten und uns im Western Cwm befanden, das uns zum Lager II bringen würde, machte Kruse einen ganz normalen Eindruck. Wir lösten unsere Verbindungsseile, damit jeder für sich allein weitergehen konnte.
Während Kruse vor ihnen über den Gletscher abstieg, besprachen Fischer und Boukreev die Ereignisse der letzten Tage. Boukreev berichtete von den Fortschritten, die auf der Route gemacht worden waren, Fischer von den Problemen im Basislager.
Scott informierte mich über den Zustand von Ngawang Topche. Begleitet von seinem Neffen und Ingrid war er nach Kathmandu geflogen worden. Die Kosten der Rettungsaktion würden sich auf etwa 10.000 Dollar belaufen. Diese Ausgabe, Ngawang Topches Unfall, sein Sauerstoffverbrauch, der unsere Vorräte empfindlich verringert hatte, und die Tatsache, daß unsere Sherpas weder Lager IV vorbereitet noch Sauerstoffflaschen hinauftransportiert hatten, waren für Scott die bedrückendsten Sorgen. Seine Offenheit bewog mich, die Rede auf unsere Sherpas zu bringen. Ich sagte, daß ich von Anfang an das Gefühl gehabt hätte, sie seien nicht stark genug. Im Vergleich zu Rob Halls Team, das Ang Dorje unterstellt war, war unseres weder so tüchtig noch so gut geführt. Wir einigten uns dahingehend, daß wir nach der Expedition sehen würden, wie sich unsere Sherpas insgesamt gehalten hätten. Dann erst wollten wir überlegen, wen wir für künftige Unternehmungen engagierten.
Bei Einbruch der Dunkelheit wieder wohlbehalten in Lager II angelangt, nahm Fischer Verbindung mit dem Basislager und Lager III auf. Von den wenig ermutigenden Berichten über Ngawang Topches Zustand abgesehen, gab es keine dringen den Probleme für Scott. Er entschloß sich daher, am nächsten Tag mit Pete Schoening zum Lager III aufzusteigen, da er immer noch hoffte, Schoening würde sich akklimatisieren und für den Gipfel im Rennen bleiben.
Am Morgen des 29. April stiegen Scott und Pete zum Lager III auf, und ich setzte mit Dale und Lene den Weg zum Basislager fort. Den größten Teil der Route behielt ich Dale genau im Auge, obwohl sein Zustand sich sehr gebessert hatte. Ich war in Sorge, er könnte einen Fehler machen, vor allem im Eisbruch, wo ich unbedingt Probleme vermeiden wollte. Im Basislager angekommen, konnte ich endlich erleichtert aufatmen und die höheren Temperaturen genießen. Nach sechs aufeinanderfolgenden Nächten in den Hochlagern und der Schwerarbeit an den Fixseilen hatte ich eine Ruhepause dringend nötig.
Am 30. April nutzte ich das ruhige und schöne Wetter im Basislager und gönnte mir ein paar bescheidene Vergnügungen: Ich duschte und setzte mich mit einem Buch in die Sonne. Mein Körper signalisierte mir, daß ich mich gut akklimatisiert hatte, so daß ich einen Abstieg bis zur Waldgrenze plante, um mich dort gründlich auszuruhen. Wieder redete ich Martin Adams zu, er solle
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