Der Gipfel
Akklimatisation zu fördern, ehe ich ins Basislager abstieg. Da sie nie über 7200 Meter hinausgekommen war und keinerlei Erfahrungen aufzuweisen hatte, die ihre Erfolgsaussichten begünstigt hätten, riet ich ihr von dem Vorhaben ab. Ich versprach, den Aufstieg mit ihr zu wiederholen, wenn möglich ohne Sauerstoff, falls sie ihn beim ersten Mal mit Sauerstoff geschafft hätte, Jetzt kann ich zugeben, daß ich wußte, sie würde aller Wahrscheinlichkeit nach nicht die Energie dafür auf bringen, doch mein Angebot stand, und ich hätte es eingehalten, wenn sie darauf gepocht hätte.
Am Abend wandte Fischer sich im Essenszelt an die Gruppe, von der nur Charlotte Fox und Tim Madsen fehlten, die erst zurückkehren mußten, sowie Martin Adams, der bis zur Waldgrenze abgestiegen war. Fischer sagte, daß sie, gutes Wetter vorausgesetzt, am 5. Mai nach einer längeren Ruhe pause zum endgültigen Gipfelanstieg aufbrechen würden. Dann sagte er im Spaß, der wahre Grund, warum Boukreev und Adams, für ihre letzte Ruhephase bis zur Waldgrenze abgestiegen waren, sei ihre Vorliebe für hübsche Trekkerinnen und für Bier.
Gleich darauf erschien Lene, trat hinter meinen Stuhl und legte die Arme um mich. Sie gab mir einen Kuß auf die Wange und sagte so laut, daß alle es hören konnten: »Vielen Dank, Anatoli.« Dann ging sie zu einem leeren Stuhl und setzte sich. Da keiner wußte, um was es ging, blickten alle lächelnd von mir zu Lene. Scott allerdings hatte verstanden. Er wußte, daß das Sauerstoffproblem gelöst war.
23 Als gelbes Band wird ein Streifen aus gelblichen, einander überlappen den Kalksteinschichten bezeichnet.
12. Kapitel Der Countdown läuft
Nachdem ich mich von allen verabschiedet hatte, knipste ich die Stirnlampe an und begann meinen Abstieg. Binnen einer Stunde aber war die Nacht taghell, da ein fast voller Mond aufstieg und den Khumbu-Gletscher beschien. Zu meiner Rechten begleitete mich eine Zeitlang die Silhouette des Pumori, und als diese zurückblieb, war ich allein unterwegs, voller Vorfreude auf die Luft und auf die Wärme, die mich weiter unten erwarteten. Obwohl ich gut akklimatisiert war und mich wohlfühlte, spürte ich, daß meine Aktivitäten in den letzten Wochen an meiner Energie gezehrt hatten und ich wieder neue Kraft tanken mußte.
Boukreev stieg mehrere Stunden ab. Nachdem er Lobuche, den Schauplatz des Satellitentelefon-Duells zwischen Jane und Sandy, hinter sich gelassen hatte, nahm er die linke Abzweigung nach Dingboche (4350 Meter), wo er Martin Adams zu treffen hoffte. Um ein Uhr morgens, eine halbe Stunde außer halb des Dorfes, schlug er unter dem Sternenhimmel sein Biwak auf.
Am nächsten Morgen ging ich zur Unterkunft, in der ich Martin vermutete, doch die Sherpani, die das Haus führte, sagte, daß am Vortag niemand eingetroffen sein. Also frühstückte ich und setzte dann meinen Treck fort. Nach einer knappen Stunde kam ich in Pheriche (4280 Meter) an, wo ich zwar nicht Martin, aber unsere Expeditionsärztin Dr. Hunt antraf, die eben aus Kathmandu zurückgekehrt war.
Dr. Hunt hatte nichts Gutes zu berichten. Ngawang Topche, der sechs Tage zuvor per Hubschrauber von Pheriche nach Kathmandu transportiert worden war, lag im Koma. Er hatte eine schwere Gehirnschädigung davongetragen. Falls er überlebte, würde, wie Fischer bereits befürchtet hatte, sich eine langwierige Behandlung anschließen.
Nachdem ich die Tragödie unseres Hochträgers erfahren und Ingrid sowie einige Bekannte von Himalayan Guides, besucht hatte, die vom Basislager gekommen waren, setzte ich meinen Abstieg fort. Gegen Mittag erreichte ich das Ama Dablam Garden Lodge in Deboche (3770 Meter), einem Dorf an der Waldgrenze gelegen.
Boukreev hielt sich nun zwei Tage lang in Deboche an eine einfache Regel: Ausruhen mit sparsamer Bewegung und die »Mattigkeit des Organismus« und die »gesättigte Luft« genießen.
Ich war sicher, daß ich dank meines Ruhe- und Erholungsplans wieder zu Kräften kommen und mir die Reserven schaffen würde, die ich für den Gipfelvorstoß mit den Kunden brauchte. Ich tat alles, um meinen Körper auf dieses Ziel vorzubereiten. Es war bedauerlich, daß Scott meinen Plan nicht auch für sich, Neal und unsere Kunden übernommen hatte, und hoffte, daß die Ruhepause im Basislager ausreichen würde.
Am Nachmittag des 4. Mai machte sich Boukreev, der sich »bemerkenswert erholt« fühlte, um sechzehn Uhr auf den Weg zurück ins Basislager. Nach einer kurzen
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