Der Gipfel
während er es mit den Sherpas endgültig sicherte.
Ich hatte das Gefühl, für Klev wäre es günstiger, sich auszuruhen und auf den letzten Anstieg vorzubereiten. Ich fürchtete, die Kraft, die ihm der Sauerstoff verliehen hatte, könnte ihn täuschen und zu der irrigen Meinung verleiten, seine Energie sei unbegrenzt.
Ursprünglich war geplant gewesen, drei Zelte für Kunden und Führer zu errichten. Da aber der Sturm anstatt nachzulassen an Stärke zunahm, hielt Boukreev es für klüger, sich mit zwei Zelten zu begnügen. Mehr Personen in weniger Zelten ent wickelten mehr Körperwärme gegen die nächtliche Kälte. Und falls es tatsächlich zur Katastrophe käme und sie ein Zelt verloren, blieb ihnen immer noch eines.
Leicht gebeugt mit dem Rücken zum Wind stehend, der ihn umzuwehen drohte, beratschlagte sich Boukreev erst mit einem Sherpa, dann mit dem nächsten, indem er ihnen in die Ohren brüllte, um sich Gehör zu verschaffen. Man entschied sich, das dritte Zelt nicht auszupacken. Während sie unermüdlich weiterarbeiteten, um die Zelte vor der Gewalt des Sturmes zu sichern, sah Boukreev Lene Gammelgaard und Martin Adams ankommen. Beide wirkten müde, klagten aber nicht und ließen sich von ihm mit Schoening in ein Zelt einweisen. Als Beidleman eintraf und ins andere Zelt kroch, hatte Boukreev den Eindruck, daß er »die Höhe spürte«, deshalb hielt er Beidlemans Entscheidung, mit Sauerstoff zu klettern, für »richtig«.
In dem Maß, wie der Wind den Nachmittag über an Stärke zunahm, stiegen Boukreevs Befürchtungen. Die »Wetterunbekannte« in der Everest-Gleichung bedrohte den Gipfelvorstoß, und einige der Mountain-Madness-Faktoren paßten ohnehin nicht in die Rechnung. Es war siebzehn Uhr, und Fischer und Sandy Pittman waren noch immer nicht in Lager IV.
Während ich mir über die weitere Vorgehensweise den Kopf zerbrach, entschloß ich mich, mit Rob Hall zu reden, der die Arbeiten an seinem Lager überwachte. Als ich ihn bei einem seiner Zelte anrede te, mußten wir uns brüllend verständigen. »Was sollen wir tun? Das ist kein Wetter für den Gipfel.« Darauf Rob Hall: »Ich habe die Erfahrung gemacht, daß es sich nach einem Sturm oft beruhigt. Wenn es in der Nacht aufklart, gehen wir morgen los. Hat sich bis Mitternacht nichts geändert, wird meine Gruppe weitere vierundzwanzig Stunden warten. Und wenn es sich am zweiten Tag nicht bessert, steigen wir ab.« Aus einem unerklärlichen Grund konnte ich Rob Halls Optimismus nicht teilen. Ich hielt eine Wetterberuhigung für sehr unwahrscheinlich. Meine innere Stimme ließ mir keine Ruhe und sagte mir, daß wir am nächsten Tag nicht aufsteigen würden.
Nach dem Gespräch mit Hall wollte Boukreev aus Sorge um Fischer wieder zum Lager III absteigen, als er ihn in vierzig Metern Entfernung von den Zelten im einsetzenden Schneegestöber auf sich zukommen sah, gefolgt von ein paar anderen, unter ihnen Sandy Hill Pittman.
Scott, der schreien mußte, um sich verständlich zu machen, fragte mich, wie wir die Leute in den Zelten verteilen sollten. Ich erklärte ihm, daß wir anstatt drei nur zwei Zelte aufgebaut hatten. Als er vorschlug, auch noch das dritte aufzustellen, erklärte ich die Um stände und den Grund für meine Entscheidung, und das gab für ihn den Ausschlag. Dann besprachen wir das Wetter, und wie schon zu Rob sagte ich nun zu Scott, daß »die Bedingungen nicht ideal sind und wir einen Abstieg erwägen sollten«. Dann sagte ich, ich hätte mit Rob über das Wetter gesprochen, und dieser wolle warten, ob der Wind nachließ. Nach unserem Gespräch wußte ich, daß Scott mit Rob einer Meinung war. Wenn das Wetter aufklarte, würden wir zum Gipfel gehen.
Gegen siebzehn Uhr dreißig kroch Boukreev zu Lene Gammelgaard, Martin Adams und Klev Schoening ins Zelt. Fischer teilte sich eines mit Beidleman, Pittman, Fox und Madsen. Der Sturm ließ nicht nach, und alle hockten da und warteten, was die nächsten Stunden wohl bringen würden.
Im Basislager war geplant worden, daß die Gruppe am 9. Mai um Mitternacht von Lager IV in Richtung Gipfel losgehen sollte. Laut Martin Adams aber war man in Boukreevs Zelt der Meinung, daß der Aufstieg nicht zu diesem magischen Zeitpunkt stattfinden würde. »Der Wind war so stark, daß man nicht die geringste Lust hatte, draußen herumzuklettern. Im großen und ganzen hatten wir das Gefühl, daß die Chance vertan war.« Auch Lene Gammelgaard hatte ihre Befürchtun gen. »In der Nacht am Südsattel
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