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Der Gipfel

Der Gipfel

Titel: Der Gipfel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anatoli Boukreev , G. Weston DeWalt
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rauf und runter, aber dann merkte ich, wieviel mentale Kraft man von der Gruppe bezieht.«

14. Kapitel Zum Südgipfel
    Als die Mountain-Madness-Gruppe Lager IV hinter sich ließ, sah sie vor sich eine Schlangenlinie von Lichtern – die Stirnlampen von Rob Halls Expeditionsteilnehmern, die eine halbe Stunde vor ihnen losgegangen waren. Hall wollte fünfzehn Leute auf den Gipfel bringen: sich selbst, zwei Führer, acht Kunden und vier Sherpas, darunter Ang Dorje, mit dem Boukreev die Fixseile angebracht hatte.
    Hinter Rob Halls Gruppe aufzusteigen, war für Lene Gammelgaard kein Grund zur Freude. »Es war ein echt gutes Team, aber alt und langsam. Alle waren so stark, wie man mit fünfundvierzig oder fünfzig nur sein kann, was bedeutet, daß man sehr, sehr langsam ist.« Ein anderer Mountain-Madness-Kletterer sagte: »Meiner Meinung nach hat es uns beim Auf stieg ein paar Stunden gekostet, weil wir hinter Rob Hall starteten und seine Gruppe an den Fixseilen überholen mußten, als wir aufschlossen.«
    Etwa drei Stunden nach dem Aufbruch vom Südsattel stießen die Mountain-Madness-Leute auf jene von Rob Hall und machten sich daran, sie zu überholen. Gegen vier geriet die Reihenfolge total durcheinander: Fischers Team mischte sich mit jenem Halls, Halls mit jenem Fischers und beide mit den drei Teilnehmern der taiwanesischen Expedition. Letztere waren Makalu Gau, der Leiter, und zwei Sherpas. Zur großen Verwunderung Halls und Fischers hatten die Taiwanesen sich entschlossen, hinter den zwei Teams aufzusteigen, wahrscheinlich um im Windschatten stärkerer Bergsteiger die ausgetretene Spur und die inzwischen befestigten Seile zu nutzen.
    Boukreev ging einige Stunden mit Adams, dann fiel er zurück, nachdem sie ein paar von Rob Halls Leuten sowie einige aus der eigenen Gruppe passiert hatten. Adams erinnerte sich, daß er nach dem Aufbruch Boukreev geklagt hatte, daß er sich lethargisch und schlapp fühlte, doch beim Aufsteigen faßte Adams wieder Tritt. Sein Akklimationstraining und der zusätzliche Sauerstoff verliehen ihm Kraft für einen »großen Tag«, wie er es nannte.
    An der Spitze des Schlangentanzes wechselten im Morgen grauen drei Kletterer aus Rob Halls Expedition einander ab: der Sherpa Ang Dorje, Mike Groom, einer von Halls Führern, und Jon Krakauer, Journalist und gleichzeitig zahlender Kunde, der im Februar bei Hall unterschrieben hatte, nachdem Outside sich gegen Mountain-Madness entschieden hatte. An mehreren Stellen entlang der Aufstiegsroute hatten die drei laut Krakauer halt machen müssen. Nicht etwa weil es Schwierigkeiten gegeben hätte, sondern weil Hall alle angewiesen hatte, sich in »der ersten Hälfte des Gipfeltages« nicht mehr als hundert Meter voneinander zu entfernen, und zwar bis zum Balkon, einem Felsvorsprung am Fuße des Südostgrats in 8500 Metern Höhe. An Selbständigkeit am Berg gewöhnt, sagte Krakauer, daß er es als sehr unbefriedigend empfunden hätte, seine Entscheidungen vom kleinsten gemeinsamen Nenner abhängig zu machen. Als zahlender Kunde hätte er sich aber »gezwungen« gesehen, auf Eigenverantwortung und Entscheidungsfreiheit zu verzichten und praktisch zur Marionette zu werden.
Die unterschiedlichen Ansichten Halls und Fischers waren symptomatisch für die Diskussion zwischen den beiden Lagern der Abenteuerreisen-Branche. Die einen argumentieren, daß es bei einer risikoreichen Unternehmung kein Regelsystem geben kann, das jeder möglichen Situation gerecht wird, und daß Regeln den auftretenden Anforderungen angepaßt werden müssen. Die anderen vertreten die Auffassung, daß Regeln die Möglichkeit von Fehlentscheidungen reduzieren und die persönliche Freiheit deshalb in den Hintergrund zu treten hat.
    Letztere wiederum müssen sich das Argument entgegenhalten lassen, daß eine allwissende, auf Regeln basierende Position, die unabhängiges Handeln auf ein Minimum reduziert, nur der Angst vor negativer Publicity oder vor eventuellen, wegen eines Mangels an »Verantwortung« auftretender Rechtsstreitigkeiten entspringt. Diesen Kritikern erscheint es sehr fragwürdig, daß eine Industrie, die persönliche Freiheit und Initiative auf ihre Fahnen schreibt, gleichzeitig die Verwirklichung dieser Werte minimiert.
    Laut Krakauer erreichte er um fünf Uhr dreißig mit Ang Dorje nach einigen Unterbrechungen, die sie, mehr als eine Stunde gekostet hatten, den Balkon in 8500 Metern Höhe. Dort setzten sie sich auf ihre Rucksäcke und rasteten.

    In 8400 Metern Höhe

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