Der Gipfel
würde. Ich selbst wollte mich erst am Gipfeltag festlegen und es von meiner Verfassung abhängig machen. Deshalb erklärte ich, daß ich es noch nicht hundertprozentig wüßte und dieselbe Sauerstoffmenge zur Verfügung haben wollte wie die anderen.
Über Sandy äußerte sich Scott optimistischer als zu Anfang der Expedition und räumte ihr durchaus Gipfelchancen ein. Ich sah es ähnlich, gab aber zu bedenken, daß sie das letzte Wochenende in Pheriche verbracht hatte, anstatt sich auszuruhen. Was Charlotte und Tim anging, so waren wir gleichermaßen besorgt, aber Scott glaubte daran, daß Charlottes Erfolge auf zwei Achttausendern und Tims sportliche Leistungen den positiven Ausschlag geben würden.
Wie ich war auch Scott unschlüssig, ob er ohne Sauerstoff klettern sollte. Er sagte, er wäre bereits »ohne« auf dem Everest gewesen und wolle abwarten, wie er sich am Gipfeltag fühle. Was Neal betraf, war sich Scott nicht sicher. Er war der Meinung, Neal sollte Sauerstoff nehmen, aber das war ganz allein dessen Entscheidung.
Nach einer kurzen Verzögerung wegen starker Windböen brach die Expedition am nächsten Morgen zum Lager III auf. Das Wetter war klar, man konnte die Strecke vom Lager II zum Lager III durchgehend einsehen. Boukreev und Fischer entschlossen sich, sich hinter der Gruppe zu halten, während Beidleman vorausging. Als sich Boukreev und Fischer in die Fixseile eingehängt hatten, knüpften sie an ihr Gespräch vom Vorabend an, erörterten die Verfassung der Teilnehmer und kamen wieder auf das Thema Sauerstoff zu sprechen. Fischer bedankte sich jetzt bei ihm, Boukreev, weil er Lene zum Sauer stoffgebrauch bekehrt hatte. Wo Fischer in eine Sackgasse geraten war, hatte Boukreev einen Erfolg verbuchen können.
Trotzdem blieb Lene eine unbekannte Größe. Sie war sportlich und hatte eine gute Kondition, aber die Höhe war unberechenbar, und Lene konnte jederzeit schlappmachen. Dasselbe traf auf Klev Schoening zu, der in seinem Eifer aggressiv, vielleicht sogar ein wenig zu aggressiv gewesen war. Boukreev hatte den Leuten eingeschärft: »Ihr müßt euch zügeln. Es kommt nicht darauf an, wer als erster oben ist, sondern wer überhaupt hinaufkommt.« Aber ein Abfahrtsläufer, der ganz vorne liegen möchte, akzeptiert sowas nur schwer, dachte Boukreev. Er war sich nicht sicher, ob Klev ihn verstanden hätte, wenn er gesagt hätte: »Gib acht!«
Martin Adams erinnerte sich, daß Boukreev ihm bei ihrer gemeinsamen Besteigung des Makalu dasselbe gesagt hatte. »Toli sagte immer: ›Martin, gib acht‹, weil ich mit ihm Schritt halten wollte. Was er damit meinte, verstand ich erst später. Damals dachte ich, er wolle mir sagen, ich solle in keine Gletscherspalte fallen und auch sonst keinen Mist bauen. Dabei wollte er sagen: ›Gib acht auf deine Energien‹«
Trotz unseres späten Aufbruchs passierten Scott und ich fast alle von Rob Halls Kunden, und Scott bemerkte, daß deren Kondition nicht annähernd so gut sei, wie die unserer Gruppe. Unser Team war insgesamt jünger und in jeder Hinsicht besser als Robs Kletterer. Ich teilte seine Meinung, wo er aber einen Vorteil sah, witterte ich ein potentielles Problem.
Als Fischer seinem Team erklärte, er sei mit Rob Hall überein gekommen, am Gipfeltag mit vereinten Kräften vorzugehen, hatte Boukreev Bedenken geäußert. Sein Einwand: Halls Gruppe würde das Mountain-Madness-Team womöglich behindern. Jetzt, auf diesem Streckenabschnitt, der weder so gefährlich noch so schwierig war wie das Stück oberhalb von Lager IV, lieferte ihnen die lahme Hall-Truppe dafür den besten Beweis. Boukreevs Bedenken wurden von einigen anderen geteilt. Einer sagte: »Warum tun wir uns mit denen zusammen? Sie sind schwächer als wir. Was soll das?« Aber ich glaube, Fischer lag daran, sich an Halls Fersen zu heften. Er war mit dem Vorsatz nach Nepal gekommen: »Ich mache alles genauso wie Rob Hall.« Diesen Eindruck hatte ich jedenfalls.
Boukreev, der vor Fischer stieg und diesen abhängte, mußte auf seinem Aufstieg zum Lager III ständig jemanden passieren. Plötzlich sah er andere, die ihm am Fixseil entgegenkamen. Als er stehenblieb, um die Absteigenden vorüberzulassen, erkannte Boukreev unter ihnen Ed Viesturs vom IMAX/IWERKS-Team, einen alten Bekannten. Viesturs, kaum außer Atem, war gelassen und ruhig wie immer. Boukreev besprach, auf seinen Skistock gestützt, mit Viesturs die Bedingungen, die oben herrschten.
»Wir steigen ab«, sagte Ed zu mir. Das
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