Der Gipfel
Wetter sei ihm nicht geheuer. Es sei zu unsicher, und sie wollten ein paar Tage abwarten und sehen, ob es sich beruhigte.
Viesturs erinnerte sich an die Begegnung und an die Umstände, die dazu führten, daß sein IMAX/IWERKS-Team sich zum Abstieg entschloß. »Für unsere Aufnahmen brauchten wir einen einsamen Gipfelgrat, und auch aus Sicherheitsgründen wollten wir nicht mit vierzig Leuten auf dem Grat stehen, deshalb entschlossen wir uns, einen Tag vor ihnen aufzusteigen.«
Während die Teams von Fischer und Hall die Nacht des 7. Mai in Lager II verbrachten, befand sich das IMAX/IWERKSTeam über ihnen in Lager III und bereitete sich auf einen Gipfelversuch am 9. Mai vor. Aber Viesturs sagte, daß er beim Aufwachen seinen Entschluß änderte. »Wir verbrachten eine verdammt windige Nacht in Lager III, und am Morgen war es oben immer noch sehr stürmisch. David (Breashears) und ich wußten, daß dies nicht die Bedingungen waren, die wir brauchten. Deshalb sagten wir: ›Was soll’s, wir steigen ab. Wir haben Zeit und können warten. Sollen die anderen aufsteigen. Wir kommen erst wieder, wenn das Wetter besser und stabiler ist.‹«
Viesturs weiß auch noch, daß er und seine Begleiter bei der Begegnung mit Boukreev ein wenig verlegen waren. »Wir wechselten einen Händedruck und sagten ›Hallo‹ und ›alles Gute‹, alles sehr herzlich. Dabei kamen wir uns ein wenig dämlich vor, weil wir abstiegen. ›Haben wir auch richtig entschieden?‹ dachten wir. Aber dann sagten wir uns: ›Ach was, es ist nun mal unsere Entscheidung.‹ Da stieg diese ganze Gruppe auf, gutgelaunt und erwartungsvoll, und wir gingen runter, weil wir der Meinung waren, daß der Moment für den Gipfel noch nicht gekommen war.«
Als Viesturs und Boukreev stehenblieben und miteinander sprachen, war das Wetter gut. Viesturs wünschte Boukreev viel Glück und stieg an ihm vorbei am Fixseil entlang weiter ab. Boukreev, der ihm und den anderen IMAX/IWERKSLeuten nachblickte, konnte sehen, wie die Teams von Hall und Fischer unbeirrt weitergingen, den Gipfel vor Augen, den sie in zwei Tagen besteigen wollten.
24 Die Mountain-Madness-Werbung hatte versprochen, Führung bei »sämtlichen Gipfelversuchen« zur Verfügung zu stellen, was auf mehr als nur einen Versuch schließen ließ.
13. Kapitel In der Todeszone
Mir gefiel das Ganze ebensowenig wie Ed Viesturs. Nach über zwanzig Jahren Bergerfahrung entwickelt man eine gewisse Intuition, und ich spürte einfach, daß mit dem Wetter etwas nicht stimmte. Schon seit Tagen war es nicht stabil, und in der Höhe blies ein starker Wind. Ich hätte gerne darüber gesprochen, aber mir wurde zunehmend klar, daß Scott meinen Rat längst nicht so schätzte wie den von Rob Hall. So hatte er meinen Vorschlag, unsere Gruppe vor dem Gipfelvorstoß zur Waldgrenze absteigen zu lassen, gar nicht erst in Erwägung gezogen. Da ich also sowieso nichts ausrichten konnte, versuchte ich, meine unguten Gefühle herunterzuspielen und hielt den Mund.
In Lager III richteten sich Kunden und Führer in den drei Zelten ein, für die Boukreev und die Sherpas Stufen in das Eis der Lhotse-Flanke geschlagen hatten. Charlotte Fox, Tim Madsen und Klev Schoening teilten sich eines; Fischer, Beidleman und Sandy Pittman das zweite, während Boukreev, Lene Gammelgaard und Martin Adams das dritte bezogen. Laut Boukreev schienen alle gut drauf zu sein, »machten Witze und waren vergnügt.«
Sandy Pittman, die von Lager III und IV sowie vom Gipfel, falls sie es bis hinauf schaffte, Berichte senden wollte, hatte einem der sieben Sherpas, die mit dem Team aufstiegen, ihr Satellitentelefon aufgebürdet, das sie schon im Basislager benutzt hatte. Nach einem Makkaroni-Käse-Abendessen mit Fischer und Beidleman gab sie ihren Bericht an NBC durch. Kaum imstande, ein Wort herauszubringen, weil sie so stark hustete, faßte sie sich kurz und ließ alle, die es interessierte, wissen, was sie gerade aß und daß das IMAX/IWERKS-Team nach mißglücktem Gipfelsturm umgekehrt sei. Falls es ihr oder einem der anderen in ihrem Zelt zu denken gab, daß Ed Viesturs und David Breashears, zwei der renommiertesten Everest-Veteranen, es für klüger gehalten hatten, abzusteigen und günstigere Bedingungen abzuwarten, ließ sie kein Wort davon verlauten.
Am nächsten Morgen, dem 9. Mai wurden wir von den lauten Gesprächen einiger Sherpas geweckt, die Sauerstoffflaschen von Lager II nach Lager IV schleppten, von dem aus wir zum Gipfel aufbrechen
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