Der Gipfel
würden. Während wir auf den Spezialkochern unser Frühstück zubereiteten, kamen einige Sherpas und berichteten aufgeregt, ein Teilnehmer der taiwanesischen Expedition hätte ohne Steigeisen sein Zelt verlassen und sei, als er einem menschlichen Bedürfnis nachgeben wollte, ausgerutscht und in eine Gletscherspalte gefallen. Sie wollten ihren Sherpa-Kollegen helfen, ihn herauszuziehen.
Während die Männer davoneilten, um ihre Hilfe anzubieten, trieben Fischer und seine Führer die Gruppe beim Frühstück zur Eile an. Sie sollten so schnell wie möglich zum Lager IV aufbrechen, wo dann als Vorbereitung für den Gipfeltag Ruhe angesagt war. Als Schutz gegen die Kälte trugen die meisten Daunenüberzüge. Jeder hatte eine volle Sauerstoffflasche von Poisk, dabei und über der Schulter Maske und Verbindungsschlauch hängen.
Lager III ist der Punkt, an dem die meisten, die mit Sauerstoff gehen wollen, sich »das Zeug umschnallen«, wie Henry Todd erklärte. »Von III auf IV gibt es am Gelben Band eine kleine Kletterpartie. Es ist die erste wirklich anspruchsvolle Stelle. Wenn man sich nicht total verausgaben will, hat man Sauerstoff dabei und hängt sich an die Flasche.« Boukreev war einer der letzten, die Lager III hinter sich ließen. Vor ihm auf der Route befanden sich die Mountain-Madness-Gruppe sowie Mitglieder zweier anderer Expeditionen, die auch in Lager III übernachtet hatten: Rob Halls Adventure Consultants und die American Commercial Pumori/Lhotse-Expedition unter der Leitung der Amerikaner Daniel Mazur und Jonathan Pratt. Boukreev kam an den Fixseilen nur langsam voran, da über fünfzig Personen vor ihm kletterten und er sich immer wieder an jemandem vorbeimanövrieren mußte. Auf etwa 7500 Meter Höhe traf er Fischer, der wie er selbst ohne Sauer stoff ging.
Ich sagte, ich hielte es für besser wenn ich vor unseren Leuten auf dem Südsattel und am Standort von Lager IV sein würde, um mich zu vergewissern, ob alles bereit sei. Scott war einverstanden und wollte das Schlußlicht bilden. Dann überlegten wir, wo Neal sein könnte. Scott sagte, weiter vorne wäre er nicht, und da ich viele Kletterer passiert hatte, deren Gesichter hinter Sauerstoffmasken verborgen waren, wußte ich auch nicht, wo er in der Reihe stecken mochte. Wir waren der Meinung, er würde sich beim Aufstieg Zeit lassen, um mit der Höhe besser zurechtzukommen.
In gleichmäßigem Tempo aufsteigend, passierte Boukreev die meisten Teilnehmer von Rob Halls Expedition sowie Mazurs und Pratts Team. Irgendwo am oberen Rand des Gelben Bandes überholte er als letzten der Mountain-MadnessGruppe Klev Schoening, der in sehr guter Verfassung war.
Er stieg fast so schnell wie ich, und ich mußte mich ein wenig anstrengen, um vorne zu bleiben. Das bedeutete, daß ich mich morgen ranhalten mußte, um mit unserem schnellsten Kunden gleichzuziehen. Deshalb ließ ich die Frage, ob Sauerstoff oder nicht, offen. Darüber wollte ich entscheiden, wenn wir das letzte Stück in Angriff nahmen.
Als Boukreev um vierzehn Uhr den Südsattel erreichte, geriet er in ein Inferno. Der Wind fegte mit etwa hundert Stundenkilometern über das exponierte, trapezförmige Plateau. Bei eisigen Temperaturen, inmitten Hunderter leerer, von früheren Expeditionen zurückgelassener Sauerstoffflaschen hatten die Mountain-Madness-Sherpas bereits ein Zelt aufgebaut und kämpften nun mit dem zweiten. Die Ecken mit den behandschuhten Händen festhaltend, drückten sie das flatternde und knatternde Gebilde zu Boden und versuchten, es am Berg zu verankern. Für Boukreev kein ermutigender Anblick.
Zu den härtesten Kraftproben einer Everest-Besteigung gehört für mich der Wind, der einen fast vom Berg weht. In extremer Höhe ist er mein größter Widersacher. Hätte ich die Wahl, würde ich jederzeit ungünstiges, aber ruhiges Wetter einem Tag vorziehen, an dem der Wind so heftig bläst wie damals am Südsattel.
Boukreev, der befürchtete, das Zelt würde ihnen davonfliegen, nahm seinen Rucksack ab, ergriff ein lose flatterndes Ende und versuchte, es auf den Boden zu pressen. Schon mehrmals hatte er das Scheitern einer Expedition miterlebt, weil ein Höhenzelt verlorenging und man in ein tieferes Lager absteigen mußte. Darauf konnte er verzichten. Während Boukreev das Zelt niederdrückte, zogen die Sherpas mühsam die Stangen ein. Unterdessen war Klev Schoening nachgekommen und bot seine Hilfe an. Boukreev bat ihn, ins Zelt zu kriechen und es am Boden zu halten,
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