Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Gipfel

Der Gipfel

Titel: Der Gipfel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anatoli Boukreev , G. Weston DeWalt
Vom Netzwerk:
genau. Ich beeilte mich. Ich treffe Vorbereitungen, und nun wird der Wind wieder stärker. Es ist vier Uhr nachmittags oder viertel nach.
    Ich nahm meinen Rucksack und ging, sah Pete Athans vor dem Zelt und fragte ihn: »Gehst du mit?« Er sagte nur: »Nein.« Und ich sagte: »Wie viele werden helfen?« Und er – er wird nur traurig und weint ein bißchen. Er glaubt, es gäbe keine Chance mehr.
    Ich gehe los und sehe hundertfünfzig Meter vor mir einen kleinen Punkt, der sich bewegt, jemand, der auf mich zukommt, und ich wundere mich sehr. Es war wie ein Phantom, wie ein Wunder, und ich ging schneller. In kurzer Zeit stand ich vor dem Mann, der seine Hände ohne Handschuhe vor sich ausgestreckt hielt wie ein Soldat, der sich ergibt. Ich wußte nicht, wer das war, aber jetzt weiß ich, daß es Beck Weathers war? 37
    Ich sagte: »Wer bist du?« Er sagte nichts, und ich fragte: »Hast du Scott gesehen?« Und jetzt sagte er: »Ich habe niemanden gesehen. Niemanden. Es ist mein letztes Mal in den Bergen. Ich werde nie wieder in diese Berge zurückkehren. Niemals, niemals…« Er redete wie ein Irrer.
    Aber ich denke, mein Kopf zerspringt. »Anatoli, du mußt klar denken können, wenn du aufsteigst.« Und ich rufe zurück zum Lager: »Burleson! Pete! Bitte, helft mir!« Und ich fragte sie: »Könnt ihr diesem Mann helfen? Ich gehe hinauf. Ich will die Zeit einhalten.« Und sie sagen: »Keine Angst, wir kümmern uns um ihn.«
    Alle sagten, es sei dumm, nach Scott zu suchen, aber ich sah, daß dieser Mann überlebt hatte, und das gab mir Auftrieb. Und ich setzte die Maske auf und ging mit Sauerstoff, ohne Pause, und kam gut voran. Aber es dunkelte, die Nacht fiel ein. Dazu kam ein starker Wind und Schneesturm, und es wurde schwierig für mich.
    Um sieben Uhr abends, vielleicht fünf Minuten später, fand ich Scott. Dunkel, starker Sturm, und ich sah ihn durch den Schnee, wie ein Traumbild. Ich sah den Zipp seines Daunenanzugs offen, eine Hand ohne Fäustling, erfroren. Ich öffnete seine Gesichtsmaske, und um die Maske herum ist das Gesicht erfroren, aber eine andere Temperatur, und unter der Maske ist er blau, wie von einem großen Bluterguß. Das Gesicht ist ohne Leben. Ich sah keine Atmung, nur verkrampfte Kiefer. Ich verlor die letzte Hoffnung. Ich kann nichts tun. Ich kann nichts tun. Ich kann nicht bei ihm bleiben.

    Um sieben kommt wieder Sturm auf. Sauerstoff – ich verliere meine letzte Hoffnung, weil ich beim Aufbruch dachte, Sauerstoff würde sein Leben retten. Wenn jetzt aber kein Sauerstoff hilft, keine Lebenszeichen da sind, kein Puls, keine Atmung…

    Der Sturm wird sehr stark, und ich habe keine Kraft mehr. Was soll ich jetzt tun? Ich wußte nur das: Wenn ich ihn wie Beck Weathers gefunden hätte, wäre es möglich gewesen, ihm zu helfen. Ich hätte ihn wiederbelebt. So wie Beck Weathers wiederbelebt wurde. Er hätte Hilfe gebraucht, und wenn er sie bekommen hätte, Sauerstoff vielleicht, alles wäre möglich gewesen. Man hätte Scott helfen können. Ich sehe jetzt, daß es nicht mehr geht. Für ihn gibt es keine Chance. Was soll ich jetzt tun? Ich sah seinen Rucksack und band ihn vor sein Gesicht, um die Vögel abzuhalten. Vier, fünf Sauerstoffflaschen lagen herum, mit denen ich seinen Körper bedeckte. Und um viertel nach sieben beginne ich rasch den Abstieg. Ich merke, daß ich Kraft und Gefühl verloren habe. Ich kann nicht sagen, wie es war. Ich war sehr traurig. Ein Sturm kam auf, sehr stark, und mit ihm Neuschnee. Ich steige an den Seilen ab, und als ich bei 8200 Meter ankomme, ist die Sicht ganz weg. Es wurde dunkel, vielleicht zwanzig vor acht, unmöglich zu sehen. Ich habe meine Stirnlampe. Ich nehme ein wenig Sauerstoff. Dann hörte ich auf, weil es meiner Sicht nicht hilft, die zwei, drei Meter reicht. Man kann nichts sehen. Und wieder finde ich die Kangshung-Flanke, dieselbe Stelle, denke ich, unweit Yasuko Namba. Ich kann nur zwei Meter sehen, aber ich weiß Bescheid. Dann ändere ich die Richtung, der Schnee am Boden hört auf und ich sehe Sauerstoffflaschen. Ich gehe ein wenig zurück und bergauf und sehe ein paar Zelte.
    Ich weiß, daß es nicht unsere sind, aber die nächsten werden von uns sein. Als ich diese Stelle finde, höre ich Stimmen. Ich gehe ohne Sicht, nur nach dem Geräusch. Ich komme zu einem Zelt, öffne es und sehe diesen Mann ganz allein. Es ist Beck Weathers und ich verstehe nicht, warum er allein ist. Aber ich habe keine Kraft mehr, gehe zu meinem Zelt, weil ich nicht

Weitere Kostenlose Bücher