Der Gipfel
helfen kann. Ich nehme irgendeinen Schlafsack. Ich krieche ins Zelt und schlafe.
Bei seiner Rückkehr ins Lager geriet Boukreev in einen Sturm von gleicher Heftigkeit wie in der Nacht davor. Im Alleingang und ohne Lichter von Lager IV als Wegweiser hatte er sich auf seine Intuition und sein Erinnerungsvermögen verlassen und die Richtung eingeschlagen, die ihm richtig erschien. Als er auf ein paar weggeworfene Sauerstoffflaschen stieß konnte er sich orientieren und das Lager endgültig orten.
Als Boukreev sich durch die Zelte im Lager tastete, hörte er Schreie aus einem Zelt. Er schaute hinein und sah Beck Weathers, der sich vor Schmerzen krümmte. Niemand kümmerte sich um ihn. Erschöpft, nur knapp dem Sturm entronnen, mußte Boukreev Weathers alleinlassen, um sein eigenes Zelt aufzusuchen, wo er entkräftet zusammenbrach.
36 Dr. Hunt hat in Erinnerung, daß es Rob Halls Expeditionsarzt war, mit dem Boukreev tatsächlich sprach.
37 Boukreev wußte nicht, daß Weathers lebend im Schnee des Südsattels aufgefunden worden war.
21. Kapitel Mountain-Media-Madness
Da mit dem Morgen des 12. Mai die letzte Hoffnung zunichte wurde, Rob Hall, Doug Hansen und Andy Harris zu retten, begannen die Überlebenden der Adventure-Consultants-Expedition ihren Abstieg zum Basislager. Beck Weathers und Makalu Gau wurden mit Hilfe Todd Burlesons, Pete Athans, Ed Viesturs, David Breashears und Mitgliedern anderer Expeditionen ins Lager I gebracht, wo ein Hubschrauber landen und sie nach Kathmandu ausfliegen konnte.
Während die Mitglieder des Hall-Teams abstiegen, trafen Beidleman und die Mountain-Madness-Gruppe bereits im Basislager ein, wo sie sich ausruhen und für den Treck nach Syangboche vorbereiten wollten. Von dort aus sollten sie dann per Hubschrauber nach Kathmandu fliegen. Boukreev, der von der Expeditionsausrüstung mitgenommen hatte, was er tragen konnte, war mit schwerem Gepäck abgestiegen und erst am Abend des 13. Mai angekommen.
Frühmorgens am 16. Mai meldete Neal Beidleman an Outside Online: »Das Team wird heute nach Pheriche aufbrechen. Wir alle lecken unsere Wunden, deshalb müssen wir runter vom Berg.« Der Everest lag hinter ihnen.
Gegen Mittag des 16. Mai begannen Beidleman und seine Gruppe ihren Treck, und nachmittags brach Boukreev zu einer Alleinbesteigung des Lhotse auf.
Wie Fischer Boukreev versprochen hatte, hatte er nach der Mount-Everest-Besteigung eine Expedition auf den Lhotse geplant. Charlotte Fox, Tim Madsen und Sandy Pittman sollten teilnehmen, Boukreev und Beidleman waren als Führer vorgesehen. Untröstlich wegen Fischers Tod und zutiefst erschüttert, weil er Yasuko Namba nicht hatte retten können, wollte Boukreev sofort zurück in die Berge. Am 17. Mai um siebzehn Uhr sechsundvierzig erreichte Boukreev im Alleingang den Lhotse-Gipfel. Ein Blick zum Everest zeigte ihm die Route, über die er und die anderen abgestiegen waren. Auf der Höhe von 8350 Meter blieb sein Blick haften. So weit war Scott Fischer gekommen. Boukreev hatte es nicht geschafft, ihn ins Lager herunterzubringen.
Am 22. Mai verließ der letzte der Mountain-Madness-Gruppe Kathmandu. Manche trugen Verbände wegen ihrer Erfrierungen, aber keiner hatte Schäden davongetragen, die eine Amputation nötig gemacht hätten. Charlotte Fox hinkte leicht. Tim Madsen und Lene Gammelgaard hatten Erfrierungen an den Fingern. Das waren unsere ernstesten Fälle. Auch ich hatte Glück gehabt und nur eine leichte Erfrierung an der Hand, wodurch in den nächsten Tagen die Haut an den Fingerspitzen abgehen würde. Auch an Nase und Lippen hatte die Kälte ihre Spuren hinterlassen. Gemessen an dem, war wir erlebt hatten, waren wir glimpflich davongekommen. Wir hatten sämtliche Finger und Zehen behalten – und unser Leben.
Boukreev und Beidleman blieben noch in Kathmandu, um alles Geschäftliche zu erledigen, wobei Beidleman aus sprachlichen Gründen den Großteil übernahm. Nach der Katastrophe am Berg waren beide physisch und psychisch ausgelaugt und konnten es kaum erwarten, Kathmandu den Rücken zu kehren und den Berg endgültig hinter sich zu lassen. Insbesondere Boukreev bemühte sich, der Pressemeute zu entgehen, die sich ihnen an die Fersen geheftet hatte, seitdem sie vom Everest gekommen waren und sich im Yak-und-Yeti-Hotel in Kathmandu eingeigelt hatten.
Die Welt schien ausgehungert nach der Story. In meiner ganzen Bergsteigerlaufbahn hatte ich noch nie so viel Interesse an einem Ereignis im Himalaja erlebt. Ich konnte
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