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Der Gitano. Abenteuererzählungen

Der Gitano. Abenteuererzählungen

Titel: Der Gitano. Abenteuererzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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unserem Wunsche liegen. Ich bestieg also »Swallow« wieder und versetzte ihn in jene ausgiebige Gangart, welche im Südwesten Sobre-passo genannt wird und darin besteht, daß das Pferd je die beiden rechten oder linken Füße zugleich, den Vorderlauf jedoch immer höher als den Hinterlauf erhebt, was eine weit schnellere und doch sanftere Bewegung ergibt als das Traben.
    So legte ich in kurzer Zeit eine bedeutende Strecke zurück, so daß ich den Verfolgern schon ziemlich nahe sein konnte, als ich plötzlich zwei Fußspuren bemerkte, welche von seitwärts herkamen und sich mit der Fährte, die ich nicht aus dem Auge gelassen hatte, vermischten. Wieder stieg ich ab um sie zu prüfen.
    Sie rührten von zwei Weißen her; das stand fest, denn die Zehen waren nach auswärts gekehrt, und zugleich sah ich, daß die beiden Männer von sehr verschiedener Gestalt sein mußten, denn die Fußeindrücke des Einen waren bedeutend länger als die des Andern. Der Lage der Halme nach waren die Zwei erst vor wenigen Minuten hier gegangen. Ich stieg auf und folgte ihnen im Galopp, die Augen bald auf die Fährte und bald in die Ferne gerichtet, wo ich auch bald zwei schnell vorwärtseilende Punkte bemerkte, die, als ich näher kam, sich als menschliche Gestalten erwiesen.
    Einmal rückwärts schauend erblickten sie mich und blieben halten, um mich mit zum Schusse erhobenen Büchsen zu erwarten. Als ich so nahe war, daß ich sie genau zu betrachten vermochte, konnte ich mich eines Lächelns kaum erwehren.
    Es waren zwei Männer, welche die Natur als schroffe Gegensätze neben einander gestellt zu haben schien.
    Der Eine war klein, aber von einem ganz ungemeinen Körperumfange. Ein dichter struppiger Bart bedeckte sein Gesicht so, daß von dem letzteren nur eine fürchterliche, in allen Farben spielende Nase und zwei kleine, listig blinzelnde Aeuglein zu erkennen waren. Die verschobene Perrücke, welche auf seinem breiten Schädel lag, hatte jedenfalls seit langen Jahren weder Kamm noch Bürste gefühlt und glich einem umgekehrten und zerzausten Vogelneste. Auf ihr saß ein Ding, welches früher einmal eine Pelzmütze gewesen sein konnte, jetzt aber alle Haare verloren und ganz das Aussehen eines umgestülpten faltenreichen Bärenmagens hatte. Der Jagdrock, in dem das Männlein stak, war jedenfalls für eine bedeutend längere Persönlichkeit angefertigt worden, denn er hing ihm fast bis an die Knöchel herab und ließ von der unteren Partie des possierlichen Trappers nur zwei vielfach zerrissene und zerfetzte Mokkassins erblicken.
    Der Andere war fast um die Hälfte höher als sein Gefährte. Seine Glieder waren so dünn und lang gezogen, daß man befürchten mußte, sie könnten beim ersten Windstoße wie Fäden auseinandergetrieben werden. Alles an ihm war lang und dünn oder schmal: die Stirn, die Nase, die Lippen, das bartlose Kinn, der Hals, der Leib, die Arme und Beine; auf seinem Hinterkopfe balancirte ein eigenthümlicher Gegenstand, dessen hundertster Urenkel nach der Darwin’schen Lehre wahrscheinlich Hut zu nennen sein würde; das lederne Jagdwamms reichte ihm nur wenige Zoll über die dürren Hüften herab, und die unendlichen Beine staken in zwei weit heraufgezogenen Futteralen, von denen sich kaum entscheiden ließ, ob sie Strümpfe, Gamaschen oder Stiefel zu nennen seien.
    Ihre Ausrüstung war ganz die bei einem Prairiejäger gewöhnliche und bot, außer der Büchse des Dicken, keinen Stoff für eine besondere Betrachtung. Diese aber sah einem im Walde abgebrochenen Prügel ähnlicher als einer Feuerwaffe. Das Holzzeug an ihr hatte durch Kerben, Sprünge und abgeschlagene Splitter seine ursprüngliche Gestalt verloren; Lauf, Schloß und Beschlag waren vom Roste zerfressen, und ein europäischer Schütze hätte wohl nur mit der größten Vorsicht einen Schuß aus ihr gewagt. Doch sah ich hier nicht das erste derartige Schießinstrument, mit dem ein Fremder absolut nichts anzufangen weiß, während der Besitzer aus dem alten verlaufenen Rohre sicher keinen andern als einen Meisterschuß thut.
    »Stop, Sir,« rief mich der Dicke an; »in welcher Absicht reitet Ihr hier in der alten Wiese spazieren?«
    »Spazieren?« wiederholte bekräftigend der Lange, indem er den Lauf seines Gewehres gerade auf meine Nase richtete.
    »Thut Eure Gun’s (Flinten) beiseite, Mesch’schurs,« antwortete ich. »Ich habe nicht die Absicht Euch aufzufressen!«
    »Wollts Euch auch nicht gerathen haben, die two Sams anzubeißen, Sir! Würdet

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