Der gläserne Schrein (German Edition)
abzupassen.»
«Habt Ihr einen Plan?», fragte die zweite Stimme atemlos.
5. KAPITEL
Ein eigenartiges Gefühl beschlich Christophorus, als er die Stadt durch das Ponttor betrat. Er war schon in zahllosen Städten gewesen, viele davon suchte er regelmäßig auf. Doch niemals hatte er einen bestimmten Ort vermisst, nicht einmal seine Heimatstadt Frankfurt. In dem Moment, da er die verwitterten und stellenweise schon leicht maroden Stadtmauern Aachens in der Ferne auftauchen sah, hatte er es gespürt – das Gefühl, nach Hause zu kommen.
Das war natürlich Unsinn. Christophorus, seines Zeichens Ablasskrämer und Dominikanermönch, hatte kein Zuhause. Er verdiente sich sein täglich Brot auf der Wanderschaft, mit der Angst seiner Mitmenschen vor dem Fegefeuer und den höllischen Mächten, wenngleich er selbst stark bezweifelte, dass ein Fetzen Papier mit einem päpstlichen Siegel die Sünden eines Menschen tilgen konnte. Der Glaube daran war für ihn höchst einträglich. Hätte er gewollt, bestünde ebenjenes tägliche Brot nur aus feinstem weißen Mehl, und der Wein dazu käme aus den besten Weinkellern des Landes.
Ja, Bruder Christophorus war ein wohlhabender Mann. Die Jahre der Wanderschaft hatten sein Geldsäckel prall gefüllt und es notwendig gemacht, größere Beträge bei den Lombarden, den Geldwechslern, zu hinterlegen. Schließlich konnte er nicht mit Beuteln voller Goldmünzen durch die Lande ziehen.
Selbstverständlich spendete er regelmäßig nicht unbeträchtliche Beträge an die Pfarrkirche, in deren Einflussgebiet er sich gerade aufhielt. Manchmal spukte der Gedanke in seinem Kopf herum, sich zur Ruhe zu setzen, dem Ablasshandel zu entsagen und irgendwo ein neues Leben zu beginnen. Andererseits gefiel ihm das freie und ungebundene Reisen, denn es hatte Vorzüge, die ihm kein ehrbarer Hausstand jemals würde bieten können.
Um nicht mit ihnen in Verbindung gebracht zu werden, hatte er den Gauklern einen halben Tag Vorsprung gelassen. Vermutlich waren sie schon in einer billigen Herberge untergekommen. Er selbst überlegte noch, ob er sich wieder bei den Dominikanern in der St.-Jakob-Straße einquartieren oder es vielleicht doch bei Marysa versuchen sollte. Ihrem verstorbenen Bruder zuliebe würde sie ihm vielleicht Obdach gewähren.
Er blieb abrupt stehen. Sein treues Maultier schnaubte erstaunt und scharrte mit den Hufen. Selbstverständlich würde er bei den Dominikanern vorsprechen. Auch wenn er sich schon lange nicht mehr der strengen Zucht einer Ordensgemeinschaft unterworfen hatte, wäre diese kleine Anstrengung nichts im Vergleich zu dem Ärger, den er im Hause Markwardt höchstwahrscheinlich ertragen müsste. Langsam setzte er sich wieder in Bewegung.
Zwar waren Marysa und er nicht im Zwist auseinandergegangen – im Gegenteil, beim Abschied waren beinahe nur freundliche Worte gefallen –, doch er hatte gespürt, dass Marysa ihr Misstrauen ihm gegenüber niemals ganz abgelegt hatte. Er wusste nicht einmal, woher ihre Vorbehalte rührten, doch hatte sie ihn ihren Argwohn von Anfang an deutlich spüren lassen. Merkwürdig, dass er sich dennoch freute, sie bald einmal wiederzusehen. Er konnte sich versichern, dass es ihr und ihrer Familie wohlerging – das hatte er Aldo ja dereinst versprochen –, und sich dann beruhigt seinen Geschäften widmen.
Die Pontstraße ging in den Graben über, auf dem ein reger Verkehr von Fuhrwerken und Bauern mit Handkarren herrschte. Nach dem Regen der letzten Tage hatten sich die Fahrspuren in tiefe matschige Rinnen verwandelt. Christophorus’ Schuhe waren bereits durchweicht, sein dunkler Mantel aus feiner Wolle wies am Saum unzählige Schlammspritzer auf. Er hätte die Abkürzung durch die schmalen Gassen zum Augustinerbach nehmen können, doch irgendetwas ließ ihn zögern, und so folgte er dem Graben weiter und bog schließlich in die Großkölnstraße ein, die geradewegs auf den Marktplatz zuführte.
«Sieh an, sieh an, Bruder Christophorus! Was führt Euch denn nach so langer Zeit wieder nach Aachen?»
Neben ihm war ein verhutzeltes Männchen aufgetaucht, das sich beim Gehen auf einen alten, schon arg mitgenommenen Pilgerstab stützte. Die Haare wie auch der Bart des Mannes waren struppig und schlohweiß. Auf seinem braunen Pilgermantel reihten sich unzählige, zum Teil schwarz angelaufene Pilgerabzeichen aus Zinn aneinander.
Christophorus blickte ihn zunächst irritiert, dann, als er ihn erkannte, erfreut an. «Amalrich! So weilt Ihr denn
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