Der gläserne Schrein (German Edition)
noch immer als ewiger Pilger in der Stadt des heiligen Karl?»
«Weshalb sollte ich fortgehen?» Amalrich lachte scheppernd. «Es geht mir doch gut hier. Habe ein Dach über dem Kopf, wenn auch ein etwas undichtes, und ausreichend Münzen, um nicht hungern zu müssen.»
«Ihr bettelt nach wie vor?»
Amalrich grinste. «Mein lieber Bruder Christophorus, ich habe nie gebettelt. Dazu müsste ich in die Zunft der Bettler eintreten, und daran würde ich gewiss keine Freude finden. Aber wenn eine gutmütige Seele einen Pfennig oder auch zwei für einen hungrigen Pilger übrig hat, sage ich gewiss nicht nein.» Er streichelte dem Maultier über die Nüstern. «Ihr und Euer vierbeiniger Gefährte scheint wohlgenährt und zufrieden daherzukommen. Eure Geschäfte sind in den vergangenen anderthalb Jahren offenbar zufriedenstellend verlaufen.»
«So kann man sagen.» Christophorus nickte. «Sie führen mich nun auch wieder hierher.»
«Ah, die Einweihung der Chorhalle.» Amalrich lachte erneut. «Hätte ich mir ja denken können.»
Inzwischen hatten sie den Marktplatz erreicht, und Christophorus steuerte ein wenig planlos über die Kreme auf die Dombaustelle zu. Bewundernd blickte er an der Fassade der neuen Chorhalle hinauf. Bei seinem Weggang hatte das Dach noch überwiegend aus offenen Gewölberippen bestanden, doch inzwischen war die Dachkonstruktion beinahe fertig. An einer Seite hatte man sogar schon damit begonnen, die riesigen Fensteröffnungen mit bunten Glasornamenten zu verschließen.
«Ein prachtvoller Bau, nicht wahr?» Auch Amalrich blickte nicht ohne Ehrfurcht auf das Bauwerk. «Das Glashaus von Aachen nennen sie es jetzt schon. Ein riesiger gläserner Schrein für die allerheiligsten Reliquien der Christenheit. Gefällt er Euch, Bruder Christophorus?»
«Ein Wunderwerk menschlicher Baukunst», antwortete Christophorus leise.
«In der Tat. Aber zuletzt standen die Bauarbeiten unter keinem guten Stern.»
Überrascht wandte Christophorus seinen Blick von der Chorhalle ab. «Warum?»
Amalrich schnalzte vernehmlich. «Vor ein paar Tagen gab es einen bösen Unfall. Zwei der Gerüste, auf denen die Goldschmiede und Maler arbeiten, sind umgestürzt. Meister Goldschläger und einer seiner Gesellen wurden dabei verschüttet.»
«Meister Goldschläger?» Erschrocken zuckte Christophorus zusammen. «Wurde er verletzt?»
«Nicht schlimm, wie es heißt. Aber seinen Gesellen soll es böse erwischt haben. Man sagt, er sei mehr tot als lebendig.»
Christophorus atmete auf, behielt jedoch seine betroffene Miene bei. «Wie konnte dieser Unfall passieren?»
Amalrich zuckte mit den Schultern. «Das weiß nur der Allmächtige.» In einer frommen Geste bekreuzigte er sich, dann lächelte er wieder und verneigte sich leicht. «Gehabt Euch wohl, Bruder Christophorus. Es wird nun Zeit für mich, nach einem geeigneten Mittagsmahl Ausschau zu halten.»
Noch bevor Christophorus etwas erwidern konnte, war der alte Pilger bereits zwischen den Marktbuden verschwunden. Er zuckte mit den Schultern. Um der alten Bekanntschaft willen hätte er den Alten gerne zu einem guten Essen eingeladen, doch das ließ sich vermutlich auch ein andermal nachholen. Nun hieß es für ihn erst einmal, die Dominikaner in der St.-Jakob-Straße aufzusuchen, um sich eine Zelle mit einem Bett für die Nacht zu sichern.
Christophorus wandte sich endgültig vom Anblick der Chorhalle ab und überquerte den Kaxhof, der zwischen Dom und Rathaus lag. Hier stand einer der städtischen Pranger, der Kax, welcher auch als Richtstätte diente. Linkerhand lag die Acht, die Gerichtsstube der Schöffen, in deren oberem Geschoss sich mehrere Gefängniszellen für noch nicht endgültig verurteilte oder wohlbetuchte Bürger befanden. Beim Anblick des Gebäudes schauderte Christophorus, denn er erinnerte sich nur zu gut an die Ereignisse während seines letzten Besuchs dort.
Das Maultier schnaubte und stupste ihn leicht mit der Nase an, also ging er langsam weiter zum Parvisch, dem Vorplatz des Doms, auf dem sich während der Heiltumsweisung Tausende Menschen gedrängt hatten. Heute lag der Platz ruhig da. Nur einige Augustinermönche standen in der Nähe des Domportals beieinander, neben dem Opferstock hatte sich eine Gruppe fremdländischer Pilger zusammengefunden, und von der Klappergasse her kamen hin und wieder Sänften oder vereinzelte Fußgänger. Am Brunnen standen drei Mägde mit großen Eimern und schwatzten.
Christophorus wollte selbst gerade in die
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