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Der gläserne Schrein (German Edition)

Der gläserne Schrein (German Edition)

Titel: Der gläserne Schrein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Schier
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swære,
die ich von ir dulde.
Minne, wende ir suezen haz!
    «O weh», dachte Jolánda und lauschte dem Gesang ihrer Tochter nachdenklich.
***
    «Damit wir uns richtig verstehen: Von wie vielen Pilgern sprecht Ihr?»
    Meister Fábián hatte die Hände auf seinem nicht unbeachtlichen Bauch gefaltet und musterte Marysa über deren Schreibpult hinweg neugierig. Sein Gesicht wurde von einer langen gebogenen Nase sowie einem dichten schwarzen Bart beherrscht, was ihm auf den ersten Blick etwas Finsteres gab. Doch seine schwarzen Augen blinzelten fröhlich in die Welt, und seine Leibesfülle sprach dafür, dass er dem Wohlleben nicht abgeneigt war.
    Marysa faltete ebenfalls die Hände und erwiderte seinen Blick ruhig. «Zwei- bis dreitausend im Jahr. Das sind aber nicht nur Ungarn, sondern auch Bewohner anderer östlicher Reiche. Im Jahr einer Heiltumsweisung kommen mindestens zehnmal so viele Menschen. Wie Ihr sicher bereits gehört habt, beschäftigt das Marienstift einige Priester, die der jeweiligen Sprache mächtig sind, um den Pilgern kirchlichen Beistand und die Beichte anzubieten. Es sollte sich also um Reliquien von Heiligen handeln, die in den östlichen Königreichen eine besondere Bedeutung haben, uns hier in Aachen jedoch nicht unbekannt sind.» Sie schwieg und sah den Kaufmann abwartend an.
    In Meister Fábiáns Kopf arbeitete es, das konnte sie seiner gerunzelten Stirn und dem Mahlen seiner Zähne entnehmen. Er sagte lange nichts, doch schließlich beugte er sich ein Stückchen zu ihr vor. «Die heilige Elisabeth vielleicht? Sie gilt als Patronin der Witwen und Waisen, der Bettler und Kranken.»
    Marysa nickte bedächtig. «Auch der heilige Stephan wäre passend.»
    Fábián legte den Kopf auf die Seite. «Welcher?»
    Sie lächelte. «Das kommt darauf an. Der Vorteil von mehreren Heiligen gleichen Namens dürfte aber auf der Hand liegen, oder?»
    Der Kaufmann lachte. «Ihr seid wahrlich die Tochter Eures Vaters, Frau Marysa. Wenn Ihr auch die ungarische Zunge wesentlich besser als er beherrscht.» Er lehnte sich wieder zurück. «Nun gut, für den Anfang mögen Elisabeth und Stephan ausreichen. Ich vermute, Ihr wünscht, schon zur Einweihung der neuen Chorhalle eine erste Lieferung zu erhalten?»
    Marysa entspannte sich ebenfalls und schmunzelte. «Wenn es möglich wäre.»
    Fábián rückte seinen Stuhl zurück und stand auf. «Es ist zumindest nicht unmöglich.» Er verneigte sich höflich. «Lasst mir Eure Bestellung in den nächsten Tagen zukommen. Die Anzahlung beträgt zwei Fünftel des vereinbarten Preises. Ihr könnt mir auch gerne einen Wechsel ausstellen.»
    «Das werde ich, Meister Fábián.» Marysa geleitete ihn bis zur Tür. «Gehabt Euch wohl!» Sie sah ihm zu, wie er sein Pferd von dem Pfosten vor dem Haus losband und sich trotz seiner Leibesfülle gewandt in den Sattel schwang. Er nickte ihr noch einmal zu und ritt dann zügig davon.
    Marysa wollte die Tür wieder schließen, als sie ihre beiden Knechte, Jaromir und Milo, den Büchel heraufkommen sah. Sie winkten schon von weitem, deshalb wartete sie und ließ die beiden ins Haus.
    «Nun, was gibt es?», fragte sie. «Wo ist der Wein, den ihr bei Herrn Gomprecht abholen solltet?»
    «Herrin, Ihr werdet es nicht glauben, aber im Zunfthaus der Goldschmiede gab es fast eine Schlägerei!», berichtete Jaromir aufgeregt.
    «Tatsächlich?»
    «Meister Goldschläger war furchtbar wütend und hat Meister Hont so angebrüllt, dass man es fast bis auf den Parvisch gehört hätte», übernahm nun Milo das Wort.
    Marysa warf den beiden Gesellen, die in ihrer Arbeit innegehalten hatten, einen kurzen Blick zu und winkte den Knechten dann, ihr aus der Werkstatt in ihr kleines Kontor zu folgen. «Und weiter?» Auffordernd blickte sie Jaromir an.
    Dieser berichtete: «Er hat zu Meister Hont gesagt, dass er seine Gesellen in der Chorhalle weiterarbeiten lassen will, solange er krank ist.»
    «Aber Meister Hont wollte nichts davon hören», fuhr nun Milo wieder fort. «Ich glaube, er hat irgendwas Beleidigendes gesagt, denn Bruno, der als Knecht im Zunfthaus arbeitet, hat erzählt, Meister Goldschläger sei daraufhin auf Hont losgegangen. Aber die anderen Meister konnten ihn zurückhalten, sonst hätt’ er dem Zunftgreven die Fresse poliert.»
    «Milo!» Marysa hob warnend die Hand. «Mäßige deine Zunge!»
    «’tschuldigung.» Milo grinste schief. Obwohl er bereits fast achtzehn Jahre alt war und nun seit über einem Jahr in Marysas Diensten stand, merkte

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