Der gläserne Wald
Haut des Toten begannen sich sofort winzige Eiskristalle zu bilden, die sein Gesicht und auch seine Uniform mit einem Hauch von Schnee überzogen.
Der Gehilfe sah es und seufzte. Franzik blickte ihn erstaunt an, denn er hatte von einem einfachen Raumpolizisten keine Äußerungen des Mitgefühls erwartet, und der Mann beeilte sich, zu erklären: »Ich muss das wieder entfernen … den Reif.«
»Wieso musst du? Wer wird sich noch für diese Leiche interessieren?«
Franzik ging um den Käfig herum, damit er das Gesicht des ehemaligen Expeditionskommandanten besser betrachten konnte. Selbst die Augen, die noch immer weit aufgerissen und durch die Strangulation hervorgequollen waren, bedeckte nun ein mattweißer Film aus Schnee, der dem Antlitz des Toten etwas unpersönlich Statuenhaftes verlieh.
»Meines Wissens der erste Mann, der sich in schwerelosem Zustand erhängt hat. Verrät ein gewisses Maß an Phantasie«, dachte Franzik laut und winkte dem Gehilfen, die Leiche wieder in ihrer Kammer verschwinden zu lassen.
Raschen Schrittes ging er durch die eisige Luft des Kühlraums zur Tür und wartete dort, bis der Gehilfe ihm öffnen würde. Er konnte sich gut die Verzweiflung dieses in seinen Funktionen versagenden Fettkloßes vorstellen: Wie er schweißtriefend elastische Bänder quer durch sein Zimmer gespannt hatte. Einen Stahlring suchte, durch den er die Schlinge ziehen konnte … Es war sonderbar, dass sich ein Raumfahrer so quälte, obgleich er doch einen blitzschnellen Tod vor der Schleuse des Raumschiffes finden konnte. Vielleicht wollte Lubar zeigen, dass er nicht in Panik gehandelt hatte, denn es wäre ihm noch viele Sekunden lang möglich gewesen, sich zu retten; aber vielleicht war er nur einfach wahnsinnig geworden, vielleicht hatte er auch gehofft, im letzten Augenblick gerettet zu werden. Wie konnte man wissen, was in Lubar vorgegangen war.
Der Gehilfe des Lagermeisters trottete herbei, sah, wie Seine Hoheit die Schultern hob und wieder fallen ließ. ›Aha‹, dachte er und freute sich, ›sollen die hohen Herren nur einmal sehen, was unsereins hier friert.‹ Mit griesgrämiger Bedächtigkeit bewegte er die Stellräder und zog die schwere Tür auf.
Als Admiral Franzik den Kommandoraum der »Komet« betrat, erstarrten die anwesenden Stabsoffiziere zu Denkmälern militärischer Disziplin. Mit wehmütiger Ironie erinnerte sich Franzik, wie anders man ihn hier empfangen hatte als zu Hause. Hier schien jedermann vor allem froh zu sein, die während der Interimszeit zerfallenen Verantwortlichkeiten ihm aufbürden zu dürfen. Er war ihnen offenbar wie ein Erlöser erschienen, der im letzten Augenblick und unerwartet Rettung bringen sollte.
»Machen Sie es sich bequem, meine Herren!« forderte sie Franzik auf und nahm am Kommandopult Platz.
»Geben Sie mir noch einmal die letzten Aufnahmen aus der ›Komet HI‹ herein. Ich will genau wissen, was da unten vorgegangen ist.«
Einer der Offiziere nahm von seinem Pult aus die nötigen Schaltungen vor. Franzik wusste, dass er nicht viel aus der Wiederholung dieser Aufnahmen gewinnen konnte. Die Kapitäne hatten seit Lübars Erkrankung nur noch Ausschnitte und Berichte an die Zentrale gegeben, aber nicht mehr das gesamte Material.
Also hörte sich der Admiral zum zweiten Mal die eigenartig belanglose Warnung der »Komet III« an, die von einem Hologramm der betreffenden Bodenformation begleitet wurde. Er ließ das befremdliche Bild auf dem Schirm stehen und wandte sich an seinen Stab: »Sehen Sie!« er wies auf das plastische Farbbild. »Der Kapitän der ›Komet III‹ – Kali, nicht wahr? – er hat etwas geahnt, … vielleicht hat er sogar gewusst; aber er hat die Augen davor verschlossen, weil er die letzten Konsequenzen nicht ziehen wollte. Dieser Alarm ist ein Fremdintelligenzenalarm! Ist das so schwer zu begreifen? – Wenn Sie an die Folgen denken: Was ist geschehen? Sie haben doch alle gesehen, wie die ›Komet III‹ von ihrem Standort in die Höhe geschleudert wurde und zerbarst. Kein Funkspruch seither, nichts! Sie haben die Wracks der anderen Beiboote gesehen. Sie sind aus dem Flug abgestürzt, als ob bei allen gleichzeitig die Triebwerke versagt hätten. Und vier Boote stehen am Boden, so wie sie gelandet waren, aber wir empfangen nichts von diesen Booten. Keine Funk- , keine Laserverbindung! – Ist das Zufall? - Doch wohl kaum.«
»Wenn ich mir erlauben darf, Hoheit …«
Franzik musterte gleichgültig den Oberst, der zu sprechen gewagt
Weitere Kostenlose Bücher