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Der gläserne Wald

Der gläserne Wald

Titel: Der gläserne Wald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinald Koch
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des Hofs, die den Fürsten bis hierher begleitet hatten.
    Schon nach wenigen Metern hatte der Fürst den Eindruck, als ob das Licht nicht mehr von oben komme, sondern aus dem bleichen Wurzelwerk des Waldes. Die verschlungenen Röhren fassten sich ekelhaft warm und weich an. Dabei gaben sie kein Haarbreit nach und waren härter als Eisen.
    Sehr bald merkte Ämar, dass er der Hohen Gemahlin zuviel versprochen hatte, denn in der Enge wäre es völlig aussichtslos gewesen, einer Dame beim Klettern helfen zu wollen. Es handelte sich auch eigentlich weniger um ein Klettern als um ein relativ müheloses Hinabgleiten.
    »Eigentlich fühlt man sich hier wie ein Bissen, der die Kehle hinunterrutscht«, sagte der Fürst nach oben, wo Frens Füße auftauchten. Seine Bemerkung klang zu gepresst und traf genau, was Fren empfand; gleichwohl lachte sie unbekümmert und erwiderte: »Hoffentlich kommen wir dem Wald nicht in die falsche Kehle, dass er uns wieder hinaushustet. Das wäre peinlich.«
    Ein wenig atemlos schaltete sich Artom in das Gespräch ein: »Keine Angst, der Magen, der da unten auf uns wartet, wird uns nicht verdauen. Es dürfte der sicherste Ort auf der ganzen Welt sein!«
    Niemand erwiderte etwas. Stumm rutschten sie tiefer durch die warmen, glatten Schlingen, die sie wie die Tentakeln von Polypen umgaben und den Hohlraum mit weißer Dunkelheit erfüllten.
    Übergangslos weitete sich der schmale Gang vor Ämar zu einem größeren Raum von völlig unbestimmbaren Dimensionen. Er richtete sich eilig auf und beugte sich in den engen Schlund zurück, um wenigstens jetzt Fren behilflich zu sein; aber als sie auftauchte und ihn sah und er sie, schrien beide gellend auf. Da standen sich nicht Fren und Ämar gegenüber, sondern zwei unbegreiflich schwarze Silhouetten, flach und schwarz, als seien sie aus Fragonleder geschnitten. Und doch nicht flach, sondern seltsam ins Unendliche gewölbt. Lichtlose Silhouetten wie Höhleneingänge.
    Sie starrten in die Tiefe ihrer Schatten, als plötzlich die dunkle Gestalt des Kaptins in der weißen Nacht auftauchte. Auch er stieß einen erschrockenen Ruf aus.
    »Wir alle sind hier unten nichts als schwarze Schatten, denn dies ist der Vorhof zum zeitlosen Reich; aber wir sind hier nur zu Besuch und können wieder hinauf in die Welt.«
    Der Fürst wandte sich zu Artom, der gesprochen hatte. Wie eine mächtige Höhle stand der Chefpriester in einiger Entfernung. Ämar stutzte, dann ging er auf Artom zu und zählte dabei die Schritte, die er machen musste.
    Unmittelbar vor dem Priester hielt er erschrocken inne. Ein jäher Schwindel packte den Fürsten. Ihm war, als müsse er durch die unergründliche Höhle, die eigentlich Artom war, hindurchfallen, bis in alle Ewigkeit in die Schwärze fallen.
    »Glaubst du mir jetzt, dass ich wirklich fromm bin?« klang des Priesters Stimme aus der Tiefe des Schattens. »Wer solche Beweise gesehen hat, weiß, der braucht nicht mehr zu glauben!«
    Vorsichtig hob Ämar die Linke und tastete nach dem Schatten. Wiederum überflutete ihn Panik, als er merkte, dass seine Hand ins Leere griff.
    Hinter dem Fürsten erklangen in kurzen Abständen die schrillen Entsetzensschreie der Neuankömmlinge. Da machte der Schatten Artoms einen Schritt auf des Fürsten ausgestreckte Hand zu, und – sie berührten einander. Mit zitternden Fingerspitzen zeichnete der Fürst im Antlitz seines alten Lehrers die vertrauten Linien der Nase, des Mundes und der Augenhöhlen nach.
    Abrupt wurde er von Artom zur Seite geschoben.
    »Wir dürfen nicht voreinander stehen. Das sieht zu grässlich aus!« Und indem er über dem Kopf das heilige Zeichen der Fysithi beschrieb, rief er mit erhobener Stimme:
    »Habt keine Angst, es ist euch nichts geschehen! Bald werdet ihr zurückkehren und sein wie immer! Verteilt euch im Heiligtum, haltet Abstand voneinander! Wenn ihr euch fürchtet, geht zu den Priestern. Wenn ihr den Fürsten sucht, er steht hier neben mir!«
    Der Fürst zog sein Kurzschwert aus der Scheide und sagte in ruhigem Ton: »Ich brauche zwei Gardesoldaten!« Sofort schoben sich mehrere schwarze Schemen auf ihn zu.
    »Du und du! Ihr stellt euch rechts und links des Eingangs!«
    Er wartete, bis sich die beiden Männer postiert hatten und wollte sich gerade wieder zu Artom wenden, als das Unglück geschah.
    Ein blendend greller Lichtblitz fuhr aus der Hand der jüngst angekommenen Gestalt. Eine Helligkeit, die für den winzigen Bruchteil eines Augenblicks allen Anwesenden ihr

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