Der Glanz der Welt
verzerrt auf der leicht gerundeten Oberfläche der nebelfeuchten Pflastersteine. Die Welt versank still in Undeutlichkeit, matter Schimmer beherrschte die Nacht.
Hinein ins Giacomos, in die Wärme des Raums, die Brillen beschlagen sich und die Knöpfe am Mantel ebenso. Die Nacht bleibt draußen zurück. Und du bist mittendrin im Geschehen.
Die Flaschen aufgereiht, die Etiketten verdeckt. Leere Gläser. Unüberschaubar ihre Zahl. Es war alles bereit. Von hinten ein Schlag auf die Schulter.
„Ich höre, du hast kommentiert“, ertönte Himmels Stimme. Er riss mich aus meinen Gedanken.
„Ach, wo hörst du so was?“, fragte ich.
„Meine Informanten sitzen überall, auch bei der druckenden Konkurrenz.“ Darauf war er stolz. „Ich habe deine Epistel sogar schon gelesen.“
„Und, was sagst du?“, wollte ich wissen.
„Du alter Gauner! Du hast gewusst, was der commissario mit dem Komplott gemeint hat, und hast mir nichts gesagt.“
„Ich wollte ihm nicht in den Rücken fallen. Da er vom Ministerium an der Arbeit gehindert wird, wollte ich ihm zu Hilfe kommen.“
„Und du meinst, dein Kommentar ist wirklich hilfreich?“ Himmel war skeptisch.
„Wäre nicht das erste Mal“, antwortete ich.
„Auf zur Verkostung“, ertönte die Stimme von Goutzimsky.
„Ich mag keine verdeckten Verkostungen“, warf ich ein, „diese Heimlichtuerei ist blöd und versnobt.“
„Nanana“, sagte Goutzimsky beruhigend, es klang fast wie eine Rüge, aber nur fast. „Fragen wir die anderen, wie die das sehen.“ Ich nickte zustimmend.
Inzwischen hatten sich ungefähr zwanzig Personen rund um die lange Tafel eingefunden, teilweise hatten sie Platz genommen, teilweise standen sie in kleinen Gruppen miteinander ins Gespräch vertieft, und es gab die üblichen Einzelgänger, die irgendwie verloren und verlassen in der Gegend herumstanden. Bestellt und nicht abgeholt, oder nicht bestellt und deshalb nicht abgeholt. Goutzimsky klatschte in die Hände: „Meine Damen und Herren, bitte Platz nehmen, wir beginnen demnächst. Aber zuerst müssen wir noch etwas klären. Ich habe alles für eine Blindverkostung herrichten lassen, aber nun ist die Frage an mich herangetragen worden, ob wir nicht ganz normal verkosten wollen.“
Die Meinungen zu diesem Thema waren immer schon geteilt. Manche Leute schwören auf blind, andere wollen wissen, was sie trinken. Zu denen zähle ich. Studien der Lebensmittelindustrie zeigen, dass ein farbloses Erdbeerjoghurt auf der Zunge des Betrachters weniger intensiv schmeckt als ein rot eingefärbtes. Färbt man es dagegen violett, tippen viele auf Heidelbeer. Die Zunge schmeckt auch mit Hilfe der Augen. Bei einer Blindverkostung sieht man kein Etikett, aber die Unkenntnis, welchen Wein man trinkt, beeinflusst den Geschmack ebenfalls. Blindverkostungen bedeuten daher immer einen Geschmacksverlust, weil das Auge nicht nur mitisst, sondern ebenso mittrinkt wie das wissende Gehirn. Sinnliche Erlebnisse sind totalitär: Sie beanspruchen alle Sinne.
Die Gegentheorie behauptet, dass die Etikettentrinker sich nicht trauen würden, einen berühmten oder gar legendären Wein schlecht zu bewerten. Ich habe eher das Gegenteil erlebt. Ein paar Snobs gefallen sich darin, berühmte Weine in die Pfanne zu hauen – manchmal sogar durchaus zu Recht. Wenngleich die Aussage „Mouton war auch schon mal besser“ziemlich nervt. Andererseits: der vermeintliche Kenner, der das Glas mit dem unbekannten Wein gegen das Licht hält, fünfmal durch die Nase einatmet, als stehe er unmittelbar vor dem Erstickungstod; der wie ein Ertrinkender den Wein in sich hineinschlürft, gurgelnd und glucksend wieder ausspuckt, um dann zu verkünden: Bordeaux, Pomerol, 1990, Petit Village. Blamiert bis auf die Knochen! Im Glas war ein Burgunder, Clos de la Roche, 1989, Armand Rousseau. Es ist schwierig genug, völlig blind, ohne den Wein zu sehen, einen roten Tischwein von einem weißen zu unterscheiden. Was nicht heißt, dass Leute, die täglich beruflich Weine verkosten, den einen oder anderen Wein nicht verblüffend genau erkennen können. Aber welcher Amateur hat jeden Tag mehrere Stunden Zeit, um Weine zu verkosten? Von den Kosten ganz zu schweigen. Nur die Angst vor einem Rausch ist kein Problem, weil Profis ohnedies alles ausspucken. Was ich für ungustiös und zudem für eine nicht zu rechtfertigende Verschwendung halte.
„Also, wer ist für eine offene Verkostung?“, fragte Goutzimsky. Die Hände fuhren in die Höhe, ein
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