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Der Glanz der Welt

Der Glanz der Welt

Titel: Der Glanz der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Amon
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Abflug hat wer nachgeholfen. Und zwar drastisch nachgeholfen.“
    „Ist ja arg“, sagte ich und trank den letzten Rest Poggio Antico. Passte gut zum Wildhasen, konnte man nichts dagegen sagen. Toller Wein.
    „Was heißt arg! Das ist der absolute Hammer, denn jetzt kommt erst die Pointe an der Sache.“ Himmel war die Begeisterung anzusehen. „Du wirst es nicht glauben, aber der Tote war zuerst im Büro vom Grapschmann beschäftigt und ist dann zum Schnittling gegangen. Als Vorstandsassistent zur besonderen Verwendung, wie ich gehört habe.“
    Ich legte Messer und Gabel ab, indem ich ihre Vorderenden jeweils auf den Tellerrand legte und die Griffenden auf die Tischplatte: „Starkes Stück. Und was heißt das?“
    „Weiß ich nicht“, sagte Himmel, „aber der commissario wird sich einen Ast ablachen. Die ziehen ihn vom Schnittling ab, um ihn kaltzustellen. Zwingen ihn, sich um den Mord am Dom zu kümmern, und, Simsalabim, er ist wieder an den beiden Ungustln dran. Mal sehen, ob sie ihm den Mordfall wirklich lassen. Die haben offenbar nicht gewusst, was da noch kommt.“
    „Wer ist ,die‘?“, fragte ich.
    „Die hohe Politik, die Verschwörer, die ,Komplottisten‘ aus deinem Kommentar, das Ministerbüro, das Büro für interne Angelegenheiten, die ganze Mafia halt“, erläuterte Himmel.
    Mit dem letzten Stück vom Serviettenknödel tunkte ich den Rest der Wildsauce auf. Sehr pfeffrig, aber exzellent.
    Im Glas war inzwischen ein Brunello-Annata, also ein einfacher Jahrgangswein, von Talenti. Was für ein Genuss! In guten Jahren braucht man keine Riserva, und in sehr guten Jahren war sogar der einfache Rosso di Montalcino deutlich besser als ein Brunello aus einem schwachen Jahr. Früher war man da viel strenger. Aber das war, bevor sich die Produzenten ebenso explosionsartig vermehrt hatten wie die Schuldenlast auf den verpfändeten Hügeln Montalcinos. Biondi-Santi, einst der einzige echte Brunello-Hersteller, hatte zwischen 1888 und 1945 überhaupt nur vier Ernten als Brunello deklariert.
    Kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Da wird so lange im Keller herumgepantscht, bis selbst aus schlechtem Traubengut ein halbwegs trinkbarer Wein geworden ist. Leider.
    „Die moderne Technik hobelt alles gleich: Neuseeland, Südafrika, Australien, Montalcino“, sagte ich, „internationaler Stil nennt sich das dann.“
    „Scheißglobalisierung“, stimmte mir Himmel zu.
    Aber Talenti, dessen Wein ich gerade im Glas hatte, war diesbezüglich ein Konservativer. Nichts schönen, nichts hintrimmen. Dem Wein seine Seele lassen. Wie schon erwähnt: Seinem Wesen nach ist der Brunello ein bäuerliches Getränk, wenn auch mehr für hohe Festtage, kein Alltagswein zum täglichen Abendbrot.
    „Auf jeden Fall ist der Pirchmoser jetzt wieder mittendrin im Fall Schnittling“, sagte Himmel.
    „Wenn die das merken, werden sie ihn halt wieder abziehen“, entgegnete ich.
    „Glaube ich nicht“, sagte Himmel, „das wäre dann doch zu auffällig. Den commissario zwei Mal hintereinander zurückpfeifen? Das trauen die sich nicht.“
    „Sehe ich anders“, widersprach ich, „die machen, was sie wollen. Die scheren sich doch längst nicht mehr um das, was irgendeiner von uns schreibt oder was die Bevölkerung darüber denkt. Zur Not springt halt ein Beamter über die Klinge, und in allerhöchster Not auch mal ein Minister.“ Ich sah das sehr nüchtern.
    „Aber dein Kommentar“, sagte Himmel, „wir müssen denen auf den Fersen bleiben, wenn wir sie erwischen wollen.“
    „Wer sagt, dass ich die erwischen will“, sagte ich.
    „Na geh, tu nicht so. Wozu sonst schreibst du diesen wilden Kommentar. Der Mord passt doch total hinein. Ein Mitarbeiter vom Schnittling, offenbar ihm selbst direkt unterstellt, was sonst heißt ,zur besonderen Verwendung‘, wird abgemurkst. Und warum spielt man mir unmittelbar vor dem Mord einen Hinweis zu diesem Mord zu? Zeitgenau so, dass ich nichts mehr machen kann, aber noch die Schlagzeile für die Abendausgabe hinbekomme? Und am Tag drauf lässt der commissario den Schnittling hochgehen. Erklär mir das! Das sind doch keine Zufälle.“
    „Vor allem passt eines nicht zum anderen“, sagte ich und nahm einen Schluck Talenti. Wahnsinn. Wenn der nicht betrunken machen würde, ich könnte ein Fass auf einmal trinken. „Was hat das für einen Sinn? Die Schlagzeile wäre auch ohne diesen Hinweis, nur halt einen Tag später, erschienen, denn spektakulär ist so ein Ereignis auf jeden Fall.

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