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Der Glanz der Welt

Der Glanz der Welt

Titel: Der Glanz der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Amon
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du liest auf einmal das Gegenteil von dem, was du geschrieben hast. Dafür wirst du dann im Online-Forum zur Sau gemacht. Bekommst den Beifall von den Falschen, von denen, die du eigentlich in die Pfanne hauen wolltest. Jetzt schmorst du selbst drin. Danke, Herr Redakteur.
    Hätte man bloß 15.000 Zeichen zugestanden bekommen. Aber die drehen dir sogar einen 30.000-Zeichen-Kommentar ins Gegenteil. Je mehr Zeichen du lieferst, umso mehr können sie verdrehen. Wenn der Redakteur nicht will, nutzt alles nichts. Dann kommt immer das Gegenteil raus. Aber du hast genug Erfahrung. Mit der Zeit lernt man, die Sätze so zuverknappen, dass sie nicht mehr verdrehbar sind. Am besten nur Subjekt und Prädikat. Einfach ein Schuss nach dem anderen. Bumm. Bumm. Darum heißt es Revolverblatt.
    Während langsam der Morgen graut, wird dein Kommentar fertig, und du beschließt, ihn gleich wegzuschicken, ohne Nachreife. Nur noch einmal durchlesen.
    Adlerauge sei wachsam!
    Der Ferdinand Adler-Kommentar .
    Als Komplotte noch Verbrechen waren .
    Man schreibt solche Kommentare und solche. Und manchmal besondere. Dies ist ein besonderer. Denn vielleicht ist es mein letzter. Man wird sich nicht damit begnügen, meine Kommentare zu verhindern oder mir bloß die Öffentlichkeit wegzunehmen. Man wird mich vielmehr verhaften und einsperren oder gleich umbringen. Auch wenn so gut wie niemand weiß, wer sich hinter Ferdinand Adler verbirgt. Denn man wird möglicherweise statt mir meinen Chefredakteur verhaften, einsperren oder gleich umbringen. Glauben Sie nicht, dass ich übertreibe und dramatisiere. Die Situation ist dramatisch.
    Dieses kleine Land ist in die Hände einer verbrecherischen Clique geraten. Aber ich kann es nicht beweisen. Diejenigen, die es beweisen könnten, wollen es nicht beweisen. So einen Vorgang nennt man Komplott. Wir leben in komplottösen Zeiten. Das Komplott ist der Normalzustand. Man hat sich daran gewöhnt. Der Ausnahmezustand als Alltäglichkeit, das Verbrechen sieht uns mit groß aufgerissenen Unschuldsaugen an und grinst hinterrücks. Das Verbrechen schwört alle Eide der Schuldlosigkeit und macht hinter dem Rücken das Hexenkreuz. Ich dramatisiere nicht. Die Lage ist dramatisch.
    Wir kennen sie, die amtlich beglaubigten Unschuldslämmer. Sie blöken auf versumpften Weiden und sinken ein bis zu den Knien. Die goldenen Schlipsnadeln verhindern, dass die Spitzen ihrer Krawatten vom feuchten Untergrund beschmutzt werden. Die Bäuche bleiben weiß bis zum nächsten Regen. Dann kommt die wahre Farbe zum Durchschein. Die ist grau wie bei Wölfen.
    Nichts gegen Wölfe. Ein paar Wölfe bilden ein ehrenwertes Rudel, unsere feine Elite bringt es nur zur ehrenwerten Gesellschaft. Eine solche nennt man landläufig Mafia. Die unschuldigen Kinderaugen sind Mimikry. Die hohen Kautionen täuschen eine Gerechtigkeit vor, die es nicht gibt. Die Freisetzung der menschlichen Wölfe, die Entgrenzung ihrer Reviere, ist ein Experiment mit gewissem Ausgang: Einige, sehr wenige, werden sehr reich; und viele, sehr viele, werden sehr viel ärmer.
    Die Lage ist dramatisch. Aber alle tun, als ob nichts geschehen wäre. Ich nicht. Und wenn es das Letzte ist, was ich tue. Wenn Ihnen, liebe Leserschaft, das zu pathetisch ist – sei’s drum! Dramatik verlangt Pathos. Große Dramatik verlangt großes Pathos.
    Ich würde gerne Namen nennen. Sie hätten es verdient, diese Gaukler des Bösen, diese Leerverkäufer der Seele, diese glatt rasierten Gesichter mit den unebenen Herzen; diese Typen, deren Gewissen der Nadelstreif und deren Tugend die Habgier ist.
    Da ich keine Namen nennen kann, erzähle ich Ihnen ein Märchen. Ein Märchen, das so wahr ist wie Don Quichottes Kampf gegen die Windmühlen, so wahr wie Gullivers Reisen, so wahr wie jedes Märchen, das die Realität karikiert. Die Karikatur macht die Wahrheit erst sichtbar.
    Es war einmal, vor gar nicht langer Zeit, da wurde im Zwergerlland eine Regierung gebildet, die in den angrenzenden Monsterstaaten große Empörung hervorrief. Die Hochzeit von Schwarzzwergen und Blauzwergen, die manche für Braunzwerge hielten, galt als Mesalliance. Die von den beiden gegründete Zwergerlregierung behauptete vieles und ihre Propaganda dröhnt bis heute in unseren Ohren. Aber hinter all dem Gedröhne verbarg sie die einzige Aufgabe, die sie sich wirklich gestellt hatte: die Vertreibung der Rotzwergerlpartei von der Macht. Und zwar für immer und ewig. Dafür galt es, deren materielle Wurzeln zu zerstören.

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