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Der Glanz der Welt

Der Glanz der Welt

Titel: Der Glanz der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Amon
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Getreidespeicher bauten, aber keine Bankhochhäuser. Nur das mit den Pyramiden war rückblickend betrachtet eine ziemlich dumme Idee. Fast so dummwie die Erfindung des Sparbuchs, der Aktie oder der Hedgefonds. Von den Pyramiden hat heute wenigstens der Fremdenverkehr etwas. Wer wird schon in fünftausend Jahren die geplatzten Spekulationsblasen entlang der Wall Street besichtigen wollen, diese unsichtbaren Grabmäler einst angeblich allmächtiger Banker und Broker, dieser Pharaonen des Großkapitals? Kein Schwein! Zahlenfuchsjagd, das wäre mal etwas anderes. Ob der Tierschutz was dagegen hätte? Gedanken am Morgen sind ungeordnet und politisch meist nicht korrekt. Du stehst vor dem Hotel und drehst ihm schnell wieder den Rücken zu. Man drängt sich nicht auf. Gehört sich nicht.
    „Wolltest du zu mir?“, singt hinter dir leise eine weibliche Stimme. Das Ganze ist das Halbe, oder war es umgekehrt? Du drehst dich wieder zum Hotel, anstatt zu flüchten. Bleibst stehen, anstatt die Schritte zu beschleunigen. Natürlich wolltest du zu ihr. Aber Geständnisse helfen nicht weiter, das weiß der Teilzeitkriminalist in dir. Am besten kommen die großen Schweiger davon. Die brauchen keine mildernden Umstände. Trotzdem hörst du dich selbst. Und du sagst: „Ja, zu dir, wohin sonst.“ Elender Schwätzer! Geständnisse schon vor dem Frühstück. Das musste am leeren Magen liegen.
    „Wohin jetzt?“, fragte sie.
    „Ins Giacomos, frühstücken“, hörst du deine Stimme.
    „Gut“, sagte sie, „ausgezeichnet. Ich habe auch noch nichts gegessen. Die haben zwar gute Betten, aber das Frühstück ist grausam. Vorsichtig gesagt.“
    „In Italien frühstückt man doch eh nicht, jedenfalls nichts Ordentliches“, sagte ich und erinnerte mich an all die italienischen Hotels mit ihren unsäglich zähen Weißbrotscheiben und uralten Croissants, die niemand anrührte und dieoffenbar nur gewechselt wurden, wenn ein neuer Gast anreiste. Croissant- und Bettwäschewechsel. Aber vielleicht auch nur Bettwäschewechsel.
    „Das ist eine Legende, ich frühstücke immer. Und zwar lange, ausgiebig und …“ Den Rest verschwieg sie mir. „Oder willst du andeuten, ich sei keine richtige Italienerin?“ Ich sah vom Brenner hinunter in das sich öffnende, sonnenbestrahlte Eisacktal wie einst Goethe.
    „Du bist Italien“, sagte meine Stimme, ohne dafür einen Auftrag erhalten zu haben. Chiara nickte zufrieden. Ein paar Meter bis zum Giacomos. Du machst trotzdem einen kleinen Umweg, denn du bist kein Täter, und es zieht dich nie besonders an Tatorte zurück. Eher im Gegenteil. Du meidest Tatorte. Irgendwie habe Tatorte keine gute Ausstrahlung, mieses Karma, würde ein Inder sagen. Du willst Chiara ersparen, sich wieder zu fürchten. Vielleicht ist auch die Kreidezeichnung auf dem Pflaster noch zu sehen.
    Niemand ging ins Giacomos, um Mittag zu essen, auch wenn alle zum Mittagsbuffet kamen. Man frühstückte am Mittagsbuffet, wenn man auf sich hielt. Jeder hier frühstückte mittags. Frühestens. Genau genommen musste man sich gar nicht beeilen, das war mehr ein persönlicher Tick von dir. Denn Giuseppe, der schlaue Hund, bestückte sein Mittagsbuffet bis in den frühen Nachmittag hinein. Und wenn du Stammgast warst, durftest du auch schon mal später kommen. Dann setzte er dich an einen kleinen Tisch in der Küche, und du bekamst aus allen Töpfen zu kosten, die bereits für den Abendbetrieb aufgesetzt waren – und in denen die Köstlichkeiten vor sich hin schmurgelten. Ein paar Scheiben frisches toskanisches Weißbrot, ein paar Löffel von der Bolognese, die braucht noch ein Stündlein. Das Gemüse vom Osso buccoschmeckt schon sehr fein. Eine kleine Scheibe von der Lammkeule, Niedertemperatur, außen schon fertig, ein paar schwarze Oliven. Ein Stück Kalbszunge, Zutat zum Bollito misto, zog im heißen Wasser. Frühstück war das wirklich keines, aber der Magen füllte sich auf angenehmste Weise.
    Vorn war alles voll, Giuseppe schob uns gleich in die Küche. Der kleine Küchentisch, man saß Aug’ in Aug’, Knie an Knie. Das Herz knurrte. Ja, der Magen auch. Du hättest nicht sagen können, welche Wärme du auf der Haut spürtest – die der Küche oder die von Chiara. Egal. Wieso hatte das helle Italien so dunkle Frauen? Ihr hattet die Mäntel über die Rückenlehne der Küchensesseln gelegt. Sie holte zwei Haarnadeln aus einer der Manteltaschen und steckte sie links und rechts in ihre lockigen Haare, sodass diese ihr nicht mehr ins

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