Der Glanz der Welt
versuchte Mühsal zu erklären. „Unser lieber Freund Herbert Gans zitiert für sein Leben gern den ,Erlkönig‘, und unsere gute LuziaWinter gibt sooft es nur geht das Hobellied aus Raimunds ,Verschwender‘ zum Besten.“
„Zum Allerbesten“, korrigierte Luzia ihn. „Eines Tages werden sie mich holen. Sie werden mich nach Gutenstein zu den Raimund-Festspielen holen und mir eine Hauptrolle geben. Sobald diese verrottete Clique von Claqueuren dort abgetreten ist.“
„Die machen aber kein Regietheater“, warf Pirchmoser ein, „die spielen doch den Raimund eh wie vor hundert Jahren.“
„Das ist die besondere Tragik“, sagte Luzia, „das ist die Gutensteiner Tragik. Raimund liegt dort nicht zufällig begraben. Er ist noch immer nicht als großer Tragöde erkannt worden, auch und vor allem nicht in Gutenstein. Und mich, die ich es wüsste, mich holt man nicht. Es ist eine Schande, wenn Konservative gegen Konservative konspirieren. Eine Affenschande!“
„Danke, einen kleinen Einblick in Ihr Vereinsleben habe ich jetzt ja bekommen“, sagte Pirchmoser und wandte sich John Miller zu: „Sie waren die ganze Zeit so schweigsam. Darf ich Sie nach Ihrem Namen fragen und was Ihre speziellen Neigungen sind, ich meine selbstverständlich Ihre theatralischen Neigungen.“ Pirchmoser hatte sich einige Notizen in sein kleines Merkheft gemacht.
„Sie dürfen fragen“, sagte Miller. „Ich habe auf allen großen Bühnen dieser Welt gespielt, nur nicht auf denen meiner Heimat. Sogar am Broadway. Und meine Jahre im Theaterinstitut von Lee Strasberg zählen zu den glücklichsten meines Lebens und zugleich zu den unglücklichsten.“
„Ich bin nicht vom Fach“, sagte Pirchmoser, „erklären Sie mir, bitte, was das heißt.“
„Nur in Österreich wurde ich noch nie engagiert. Aber gut, das Burgtheater ist heute auch keine große Bühne mehr, Siewissen schon, im Sinne von großartig. Es ist eine Schrumpfbühne, auf der gestammelt und gelispelt wird, und es bleibt dem Zuschauer überlassen, zu erraten, welches Stück gerade gegeben wird. Was aber sowieso egal ist, weil man in der dritten Reihe schon kein Wort mehr versteht. Und Strasberg, ich hing an seinen Lippen, aber er war nicht an mir interessiert. Er beschäftigte sich lieber mit Dennis Hopper oder Robert De Niro.“
„Dann waren es wohl überwiegend unglückliche Jahre“, meinte Pirchmoser.
„Nein, keineswegs. Ich hoffte, dass er eines Tages auf mich aufmerksam werden würde, sobald er durchschaut haben würde, dass Dustin Hoffman den tollen Schauspieler nur mimte. Aber alles, was Strasberg erzählte, war Lüge. Schauspieler interessierten ihn nicht. Auch er war ein Regietheater-Depp.“ Dann fügte Miller noch indigniert hinzu: „Sonst hätte er mich entdeckt.“
„Fällt Ihnen irgendein Grund ein, der jemanden zu einem der Morde an Ihren Mitgliedern bewegen hätte können? Irgendein Tatmotiv?“, fragte Pirchmoser in die Runde. Alle schüttelten verneinend den Kopf.
„Unvorstellbar“, sagte Mühsal, „natürlich haben wir alle uns Feinde gemacht. Aber warum sollten die jemanden von uns umbringen? Denen reicht es, wenn sie uns nicht beschäftigen. Das ist Machtdemonstration genug. Wir sind nur ein kleiner, mittel- und machtloser Verein. Uns nimmt niemand ernst, nur wir selbst.“
„Und ein Streit unter Vereinsmitgliedern?“, fragte Pirchmoser weiter.
„Was sollte das Motiv sein?“, entgegnete Gans.
„Das frage ich Sie ja!“, sagte Pirchmoser.
„Nein, bei uns ist alles paletti“, mischte Mühsal sich wieder ins Gespräch ein. „Die Eva, also die Frau Hübner-Hübner, war unsere Hüterin der Vereinskasse. Sie war da sehr genau, viel Geld war ohnedies nie drin, aber da gab es nichts. Und der Bein, der musste vor ein paar Jahren sein Kleintheater zusperren. Der hätte vielleicht einen Grund gehabt, den Kulturstadtrat umzubringen. Aber wer sollte Bein töten wollen? Er war kurze Zeit Pressesprecher im Finanzministerium, da hat er den Kopf für eine Schweinerei des Ministers hingehalten, also eher ein Motiv für Bein, dem Grapschmann was heimzuzahlen. Zuletzt war er jetzt bei der Schnittling-Bank, hat für den Vorstand gearbeitet. Fragen Sie mich nicht, was genau er dort getan hat. Keine Ahnung. Aber da sehe ich auch kein Motiv. Warum sollte jemand beschäftigungslose Schauspieler ermorden? Wenn Sie eine Gegenfrage erlauben: Halten Sie das für eine Mordserie? Müssen wir uns fürchten?“
Pirchmoser atmete tief durch: „Wie schon
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