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Der Glanz der Welt

Der Glanz der Welt

Titel: Der Glanz der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Amon
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du logischerweise noch nie in einen Fiaker eingestiegen. Unterm alten Kaiser wäre das vielleicht anders gewesen. Da fuhr jeder, der auf sich hielt und es sich leisten konnte, mit dem Fiaker – und wer es sich nicht leisten konnte, aber etwas darstellen wollte, ebenfalls. Wurden die Schulden zu hoch, gab es immer noch die Möglichkeit, in einem provozierten Duell ehrenvoll aus dem Leben zu scheiden. Aber Ehre ist heute keine Kategorie mehr. Börsenkurse kennen keine Ehre, geplatzte Blasen enden nicht mit Duellen. Pleitiers scheiden nicht mehr von eigener Hand aus dem Leben. Anstand reduzierte sich darauf, die ergaunerten Millionen möglichst auffällig, aber umso sinnloser zu verprassen.
    Wie fast alle Wiener weißt du nicht, dass der Fiaker nach dem Heiligen Fiacrus benannt ist, einem seltsamen Heiligen, so seltsam wie Heilige eben sind. Seltsamer als unsereiner und heiliger sowieso. Er hatte um 700 nach Christus in Frankreich ein Kloster gegründet. Das Jüngste Gericht war schon mindestens sechshundert Jahre überfällig, die Christenheit demgemäß uralt, wenngleich aus heutiger Sicht blutjung. Ziemlich genau tausend Jahre danach, 1650, das Jüngste Gericht ließ noch immer auf sich warten, fuhr in Paris das erste mietbare Fahrzeug mit Kutscher und Pferd. Seinen Standplatz hatte der findige Entrepreneur beim Hotel Saint Fiacre eingerichtet. Auf diese Art ist Fiacrus hauptberuflich zum Schutzheiligen derTaxler avanciert, also auch aller Wiener Taxler ohne Unterschied von Rang, Einkommen, Herkunft und Fahrweise. Sein in mönchischer Demut ausgelebter Frauenhass brachte dem Heiligen den von Rom offiziell nicht anerkannten Nebenjob als Schutzpatron der Geschlechtskranken ein, die ihr Siechtum spätestens seit Paulus den fleischlichen Verlockungen des Weibes verdanken.
    Diese ausführliche Abschweifung macht dein erschrockenes Innehalten verständlich. Du hattest soeben mit Chiara das Giacomos verlassen, die Runde hatte sich in alle Windrichtungen zerstreut.
    „Jetzt bin ich schon so lange und oft in Wien gewesen“, sagte Chiara, die sich bei dir untergehakt hatte, „und bin noch nie mit dem Fiaker gefahren.“
    „Ich auch nicht“, sagte ich wahrheitsgemäß und hielt – wie bereits beschrieben – erschrocken inne, „tu mir das nicht an! Wenn ich etwas in dieser Stadt wirklich hasse, dann Fiaker und die Hofreitschule.“
    „Hast du etwas gegen Pferde?“, fragte Chiara.
    „Keineswegs“, sagte ich, „schon gar nicht als Aggregatszustand ,warmer Leberkäs‘ in einem reschen Kaisersemmerl.“
    „Scheusal“, sagte sie.
    „Hungriges Scheusal“, korrigierte ich, „aber jetzt, nach diesem Frühstück, habe ich ohnedies keinen Hunger. Übrigens: Der beste Leberkäs ist der vom Ihaha.“
    „Von wem?“, setzte Chiara nach.
    „Vom Ihaha. Das ist die wienerische Bezeichnung für Pferdefleischhauer. Früher, vor der Erfindung des Autos, hatte das Pferdefleisch eine viel größere Bedeutung, besonders für die ärmeren Leute. Es fiel in großen Mengen an und war billig. Eine normale Knackwurst aus Schwein und Rind warviel teurer, dafür bekam man damals einen ganzen Kranz Extrawurst vom Pferd.“
    „Und wieso I-ha-ha?“
    „Das ist die Lautmalerei für das Gewieher eines Pferdes. Vielleicht nicht ganz perfekt getroffen, aber das liegt wahrscheinlich daran, dass Pferde nicht Wienerisch sprechen und die Wiener nicht Pferdisch. Ich habe wirklich nichts gegen Pferde, nur gegen Fiaker und die Hofreitschule. Letztere ist zum Sterben langweilig, da würde ich sofort etwas spenden, wenn sie die Viecher erlösen und an eine Leberkäsfabrik verscheppern würden. Und Fiaker, damit meine ich die Typen auf dem Kutschbock, die sind mir fast so unsympathisch wie eure Gondolieri in Venedig. Zum Glück singen unsere wenigstens nicht, sonst hätte sich schon jemand gefunden, der sie für immer zum Schweigen bringt.“
    „Die in Venedig singen auch nicht“, sagte Chiara, „und ich bin noch nie mit einer Gondola gefahren.“
    „Siehst du“, sagte ich, „Italienerinnen fahren nicht mit venezianischen Gondeln, und Wiener machen einen großen Bogen um Fiakerfahrten.“
    „Mir zuliebe“, bettelte sie, drückte sich wieder enger an mich und wischte mit der freien Hand ihre dunklen Locken aus dem Gesicht.
    „Ich hasse Fiaker, und wenn ich dir nachgebe, und ich ahne, dass ich dir nachgeben werde, dann wirst du sie auch hassen.“ Ich gab mich geschlagen. Wir gingen die zwei- oder dreihundert Meter zur Peterskirche, die sich

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