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Der Glanz der Welt

Der Glanz der Welt

Titel: Der Glanz der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Amon
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eingebogen. Der Mann auf dem Bock schob sich gerade wieder schmatzend ein neues, riesiges Stück Pizza in den Mund, drehte sich dabei uns zu, deutete auf die linke Straßenseite und sonderte einige unverständliche Laute ab, offenbar ein Hinweis.
    „Ich glaube, er kann nicht gut Deutsch“, sagte Chiara entschuldigend.
    „Kann er wenigstens Wienerisch?“, fragte ich.
    „Wahrscheinlich noch weniger. Wenn du mich fragst, der kann fast gar kein Deutsch. Nur die Zahlen zwischen dreißig und siebzig, damit er über den Fahrpreis verhandeln kann.“
    Ich war schwer verärgert, wollte es mir aber nicht anmerken lassen: „Wie kannst du den nehmen? Auf einen Fiaker gehört ein Fiaker, und damit meine ich einen Wiener Fiaker, einen mit kaiserlichem Backenbart und des Wiener Dialekts mächtig.“
    Chiara sah mich treuherzig an: „Der Preis stimmt doch, oder?“
    „Der Preis schon“, sagte ich, „aber der Fiaker nicht. Und ich vermute: Der Bart stimmt auch nicht, soweit ich das von hinten jetzt erkennen kann. Und wenn er sich umdreht, sehe ich auch nichts von seinem Gesicht, weil er immer ein Stück Pizza vorm Maul hat.“
    „Er hat so einen Prophetenbart“, sagte Chiara, und sie wirkte geknickt, „und außerdem hat das nichts mit Pizza zu tun, was der Mann da isst. Neapel, nur dort gibt es die echte Pizza.“
    „Echt oder unecht, ist doch völlig egal. Ein Gondoliere futtert ja auch kein Wiener Schnitzel, während er ,O sole mio‘ singt. Aber mach dir nichts draus“, sagte ich, „obwohl, um ehrlich zu sein, meine erste Fiakerfahrt mit einem Islamisten zu machen, der scheußliche Pizza futtert …“
    Der Kerl mit seinem fiakerästhetisch unkorrekten Bart drehte sich wieder zu uns um, kaute noch immer mit vollen Backen und stopfte schon das nächste Stück Pizza nach. Er hatte offenbar eine Riesenpizza bestellt, die kein Ende nahm, sicher nicht vor dem Ende unserer Rundfahrt. Wir hätten eine lange statt einer kurzen nehmen sollen. Aber womöglich hätte er dann zwei Riesenpizzen als Reiseproviant mitgenommen. Er fuchtelte erneut mit der Hand, in der er gerade ein Pizzastück hielt, diesmal besonders heftig nach links, als ob er uns nochmals auf etwas hinweisen wollte. Ich war abgelenkt, denn durch seine weit ausholende Handbewegung hatten sich Teile der Pizzaauflage, Analogkäse, pfui Graus, und einige Brocken Wurst, hochstapelnd Salami genannt, sowie ein paar Patzen vom roten Gatsch nach den Gesetzen der Fliehkraft auf die Flugreise gemacht, und zwar in unsere Richtung. Die Fliehkraft ließ nach, die Schwerkraft gewann die Oberhand, folglich regnete der Dreck auf unswehrlose Fiakerpassagiere herab. Der Mann konnte kein Islamist sein, Salami ist aus Schweinefleisch, aber vielleicht war es eine innovative Analogsalami, und der Mann war ein innovativer Analogislamist, Salamist, was auch immer. Ich hob abwehrend die Hände, Chiara zog die Decke über den Kopf und die Pizzateile trafen uns nicht direkt ins Gesicht.
    Nun hatte ich Zeit, nach links in die Richtung des Gefuchtels zu blicken. Die geschmatzten Worte sollten wohl ein Hinweis sein auf das nun links zu sehende Zacherlhaus.
    „Was ist damit?“, fragte ich. Wir zahlten immerhin 35 Euro, da konnte der Mann auch seiner Pflicht nachkommen und erklären, was wir da sahen. Um mein Geld wollte ich mehr hören als nur mittels Pizzakauen phonetisch verzerrte Häusernamen.
    Mir dämmerte, dass die unverständliche Wortfolge wohl wirklich als „Zacherlhaus“ interpretiert werden konnte, denn genau an diesem fuhren wir gerade rechterhand vorbei. Eigentlich sollte uns das der Mann auf dem Kutschbock erzählen, das war sein Job, und dafür wurde er bezahlt. Aber der kaute Pizza, konnte nicht Deutsch und wusste wahrscheinlich nicht einmal, dass er sich in Wien befand. Und wenn er es wusste, war es ihm wahrscheinlich egal. Also kramte ich in meinen Heimatkundekenntnissen. Das Haus wurde kurz nach 1900 von einem Schüler Otto Wagners errichtet. Im Auftrag von Johann Zacherl, einem Industriellen. Interessanter Mann, importierte aus Persien einen Pflanzenwirkstoff, aus dem man Mottenkugeln herstellen konnte. Hätte ich jetzt ein paar davon zur Hand gehabt, ich hätte den Kutscher damit beworfen, sie zerbröselt und auf seine Pizza gestreut. Vielleicht ein wenig streng im Geschmack, aber wer Analogpizza aß, dem war auf dieser Welt schon alles egal. Kismet,Inschallah. Dieser Zacherl war jedenfalls mit der Produktion von Insektenpulver steinreich geworden. Der Mann hatte

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