Der Glanz der Welt
Humor: Im Stiegenhaus ließ er einen insektenförmigen Luster aufstellen, eine Art einarmiges Insekt, das eine Leuchtkugel in die Höhe hält, und an der Außenwand erhob sich über beinahe zwei Stockwerke eine riesige Figur des Erzengels Michael, seinerseits „Besieger der unreinen Geister“, womit wohl jene Wanzen gemeint waren, die mit dem von Zacherl erfundenen Zacherlin umgebracht werden konnten.
„Was du nicht alles weißt“, sagte Chiara.
„Das sollte uns der Kerl da oben erzählen, statt seine grauenvolle Pizza zu mampfen und uns mit Teilen davon zu bewerfen. Pizza ist in einem Fiaker ohnedies völlig unpassend, ein echter Kulturbruch. Du solltest versuchen, ihn noch mal um mindestens fünfzig Prozent herunterzuhandeln. Das ist ja keine Fiakerfahrt mehr, sondern eine Zumutung. Wenn das Multikulti ist, na, dann Háwidere!“
„Há-wi-dere?“ Chiara verstand kein Wort.
„Ja, so würde ein richtiger Fiaker reden, einer mit kaiserlichem Backenbart, böhmischer Urgroßmutter, römisch-katholisch und seit Jahren die Kirchensteuer schuldig geblieben. Hinten betont, also Hawidére, heißt es ,Habe die Ehre‘ und ist eine Begrüßung. Vorne betont, Háwidere, ist es Ausdruck ungläubiger Bestürzung.“
„Das ist nicht einfach“, sagte Chiara.
„Nein, der Wiener Dialekt ist genau genommen schwieriger als die Hochsprache, weil er so viele Nuancen hat. Nur die Pizza da vorne, die stinkt in einer einzigen Nuance.“
Wir hatten den Stephansplatz erreicht, der Kutscher würgte das letzte Stück Pizza in sich hinein. Gott sei Dank, dachte ich. Aber ich hatte mich zu früh gefreut. Schon nahte neuesUnheil. Der Kutscher zog ein riesiges, mir schien leintuchgroßes, kariertes Tuch aus seiner Hosentasche, ein Taschentuch, und begann laut und ausgiebig seine Nase zu putzen. Er liebte offenbar ins Monströse vergrößerte Gegenstände, egal ob Pizza oder Taschentuch. Er rotzte und schnäuzte, die engen Wiener Gassen wären vom Widerhall seiner Geräusche erfüllt gewesen, aber dank des modernen Autoverkehrs wurden nur wir in der Nähe Sitzenden Zeugen seiner kunstvollen Nasengeräusche. Bloß gegen den Geruch der Pizza, der sogar aus der leeren Schachtel noch immer zu uns herwehte, gegen den konnte nicht einmal der moderne Autoverkehr anstinken. Beinahe freudig schnupperte man am Echtbenzin, einem Quell erfrischenden Dufts verglichen mit dem Gestank der Pizza.
Wir hatten den Stephansdom umrundet. Die Stelle, wo vor einigen Tagen der arme Bein in den Tod segelnd aufschlug, war inzwischen penibel gesäubert. Keine Polizeimarkierungen, kein Blut. Jetzt zuckelten wir durch die Rotenturmstraße in Richtung Hoher Markt. Immer wieder deutete der Kutscher auf irgendein Haus und formte trotz inzwischen geleertem Mund unverständliche Laute zu ebenso unverständlichen Worten.
Da sitzt man mit der schönsten Frau Italiens im Fiaker und vorne stinkt die Pizza. Und statt eines urwienerischen Fiakers saß oben ein stammelnder … Ich sage das Wort nicht, ich denke es nicht einmal, denn jeder von uns läuft manchmal Gefahr, böse Gedanken zu haben. Der kleine Rassist in uns will manchmal heraus an die Luft. Überhaupt wenn neben dir eine Frau duftet, vermutlich begehrenswert duftet, und deine Nase meldet erkaltete Pizza und angebranntes, gefälschtes Olivenöl. Du willst über ihre Haare streicheln, die Locken ordnen oder auch durcheinanderwirbeln, stattdessen klaubst duverbrannte Stückchen Gummimozarella von der Wolldecke und zupfst ihr die roten Gatschpatzen aus dem Haar.
Dein Handy meldet sich mit der Melodie von „Goldfinger“. Auch das noch. Das ist einer der Kontaktmänner zu den Amis, besser gesagt: von den Amis zu dir. Das kannst du nicht ignorieren, da musst du abheben. Bond, James Bond. Obwohl: Der ist eigentlich Brite.
Um Entschuldigung bittend sah ich Chiara an. Sie nickte, ich hob ab. Es ging um Bein. Sie hatten eine ganze Menge über ihn in ihren Unterlagen, und es bestand kein Zweifel, dass er in großem Stil Geld für Schnittling quer über den Globus transportiert hatte. Auf die ganz altmodische Art: im Köfferchen. Noch immer am sichersten, vor allem mit dem Diplomatenpass. Ja, sie hätten ihn schon lange unter Beobachtung gehabt. Und was besonders interessant war: Die Zahlungen waren über Schmocks Firmen in der Karibik gelaufen. Von dort stammte das Geld in den Beinschen Köfferchens. Daran hatten die Amis keine Zweifel. Das Geld war zuvor von der beinahe pleitegegangenen Werk-Bank zu Schmock
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