Der Glanz der Welt
den Pelz rücken. Es ist eine Schande.“
Giuseppe stellte uns unaufgefordert vier sechzigprozentige Enzian auf den Tisch. Im Grapschmann-Eck würde er den nie auftragen. Er war nur formal neutral. So wie auch Österreich. Im Geheimen hielt er zu uns, auch wenn er das nie zugeben würde. Ganz wie unser Bundesheer. Das hat in aller Neutralität immer zu den Amis und nie zu den Russen gehalten.
Wir leerten die Stamperln. Giuseppe lächelte zufrieden, weil auch wir zufrieden lächelten, nachdem wir wieder Luft bekamen.
„Chiara, ich muss sagen, du hältst dich gut“, sagte ich.
„Ich bin Grappa gewöhnt“, sagte sie.
„Ist auch nicht für Bambini gedacht“, sagte Giuseppe.
„Aber wir üben früh“, lachte Chiara. Ich mochte ihr Lachen. Ich liebte es.
Himmel stieß Chiara ganz leicht mit dem Ellbogen an: „Schau den Michele an, der hat nur mehr Augen für dich.“
„Idiot“, sagte ich, denn ich wusste, dass ich peinlich war, und noch peinlicher war mir, dass man es sah und dass Himmel es erwähnte und dass Chiara lachte.
„In der Liebe ist nur eines peinlich“, sagte Chiara.
„Was denn?“, wollte ich wissen.
„Peinlichkeiten zu vermeiden!“, lautete die Antwort, und Chiara drückte mir einen langen, langsamen Kuss auf die Wange. Rouge Allure Excessive von Chanel. Himmel grinste blöd wie immer und zeichnete vor seiner Wange mit ausgestrecktem Zeigefinger ein Oval in die Luft, was wohl bedeuten sollte, dass der Abdruck von Chiaras Lippen in prachtvollstem Chanel-Rot auf meiner Wange erstrahlte. Angeblichkussecht, aber das ist ein Schwindel, ein Schmäh, wie man hierorts sagt. Ein Lippenstift, der die Spuren des geliebten Wesens nicht auf den Wangen oder sonstwo hinterließ, war sein Geld in Wahrheit nicht wert. Bei einem flüchtig hingehauchten Busserl blieb vielleicht keine Spur. Aber die kleinste Spur von Leidenschaft hinterließ ihre Spuren. Bevor ich noch dazu kam, Himmel zurechtzuweisen, holte Chiara ihren Lippenstift aus der Handtasche, richtig getippt, Rouge Allure Excessive, klick, sie zog ihre Lippen nach. Ganz ungeniert und so natürlich, als sei es das Normalste auf der Welt, vor drei staunenden Mannsbildern die Lippen nachzuziehen.
Den Rest des Abends ergingen wir uns in Mutmaßungen. Wir erfanden die tollsten Theorien, die waghalsigsten Erklärungen. Giuseppe schleppte immer wieder weitere Teller mit gebratener Polenta herbei, besprenkelte die Polentascheiben mit Olivenöl aus Ligurien und hobelte weiße Trüffeln aus Alba darüber. Einige meiner Weine lagerten bei ihm im Keller. Mir war danach: „Giuseppe, kannst du uns den Barolo Monfortino Riserva von Giacomo Conterno, den 1985er, aus dem Keller bringen lassen?“
„1985“, Giuseppe schnalzte mit der Zunge, „ein Jahrgang zum Küssen, knie ich davor, nehme ich ihn mit ins Bett. Hole ich lieber selbst.“
Er verschwand im Keller und kam nach einigen Minuten wieder, die mit Kellerstaub bedeckte Flasche in ein Körbchen gebettet.
„Wer trauen aufmachen?“, fragte Giuseppe. Wir sahen einander an.
„Chiara?“, fragte ich. „Du bist Profi, oder?“
„Bei diesem Vater“, sagte Giuseppe. „Chiarella, du machen auf die Flasche!“ Nach einigem Zögern stand Chiaraauf, nahm den Leverpull und setzte ihn vorsichtig auf den Flaschenhals. Wir starrten sie wie gebannt an.
„Ich spüre, ich komme im richtigen Moment“, ertönte die Stimme von Goutzimsky, „Monfortino 1985. Wusste gar nicht, dass du den führst“, sagte er zu Giuseppe.
„Er ist von Michele“, sagte Giuseppe und deutete auf mich.
„Da sieht man, dass du bei mir in die Schule gegangen bist“, sagte der Kommerzialrat stolz und blickte kurz auf mich und dann auf Chiara, die ganz langsam den Hebel des Leverpull hinunterdrückte, der in einer mechanischen Gegenbewegung dabei den Korken sanft aus der Flasche zog.
„Eigentlich sollte der jetzt ein wenig Zeit bekommen, damit er atmen kann“, sagte Goutzimsky.
„Hole ich Spezialgläser von Riedel“, sagte Giuseppe, „die bekommt man offiziell gar nicht zu kaufen. Sind nur für Barolo gemacht worden vor einigen Jahren. Weiß gar nicht, ob man die noch bestellen kann.“
Er verschwand erneut und kam mit einem Tablett zurück, auf dem er uns stolz seine Spezialgläser präsentierte. Sie waren nicht ganz so hoch wie die Gläser für roten Burgunder, und auch die Form der Lippe war etwas anders, die Seitenwände nicht so bauchig, sondern eher gerade.
Chiara reichte dem Kommerzialrat die Flasche, und dieser
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