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Der Glanzrappe

Der Glanzrappe

Titel: Der Glanzrappe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unknown
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noch Krieg. Der Major war irgendwo anders – an einem anderen Ort und in einer anderen Zeit, und dorthin hatte er Robey mitgenommen.
    »Bist du zur Schule gegangen?« fragte der Major freundlich, und als Robey nicht antwortete, sagte er, er sei vor dem Krieg in Connecticut Lehrer gewesen und habe Jungs in seinem Alter unterrichtet, und es bedrücke ihn sehr, daß sie jetzt Uniformen trugen und Blankwaffen und Gewehre und daß sie im Kampf fielen.
    Robey überlegte einen Moment, was er diesem Mann sagen sollte, der so tief in seinen Erinnerungen versunken war. Er beugte sich vor und senkte respektvoll den Blick. Als er nach unten schaute auf den abgetretenen Teppich vor seinen Füßen, bemerkte er, daß seine Hosenaufschläge verschlissen und ausgefranst waren. Es war ihm noch gar nicht aufgefallen, wie zerlumpt er mittlerweile aussah, und plötzlich kam ihm die Idee, daß er sich als nächstes eine neue Hose besorgen müßte. Er lernte gerade, daß es sich mit der Angst so verhielt wie mit der Gefahr: Wenn man ihr ins Auge schaut, zieht sie an einem vorbei. Die fixe Idee ließ ihn nicht mehr los: eine neue Hose. Es war zugleich der Gedanke, daß dieser Tag nicht sein Ende bedeuten würde. Er beschloß, daß er von diesen Männern hier nichts zu befürchten hatte, und hob den Blick. Unbeeindruckt von seiner sentimentalen Anwandlung betrachtete er den Major.
    »Gut«, fuhr dieser fort, leerte sein Whiskeyglas und setzte es auf dem Steinboden vor dem Kamin geräuschvoll ab. »Sei dem, wie es sei. Was hast du vorzubringen? Nichts?«
    »Ich suche meinen Vater«, sagte Robey jetzt.
    »Er lügt«, meinte der Soldat, und der Major zuckte die Schultern, den Blick immer noch auf die Uhr gerichtet, die er an der kurzen Kette hin und her baumeln ließ.
    »Na?« sagte der Major.
    »Ich muß meinen Vater finden und ihn nach Hause bringen. «
    S eine Stimme wurde zu einem Flüstern, als er ergänzte: »Ich bin angeschossen worden, hier am Kopf, und mir wurde mein Pferd gestohlen.«
    »Scheißkerle«, sagte der Kavallerieoffizier, der noch immer mit seinem Schnurrbart beschäftigt war. »Die klauen dir noch das Weiße aus dem Auge.«
    Als der Soldat, der Robey bewachte, ihn daraufhin wieder zum Lügner erklärte, sagte der Major zu ihm, daß er ihn nicht länger brauche. Empört und längst des Dienstes müde schulterte der Soldat sein Gewehr und stapfte aus dem Raum.
    »Setz dich«, forderte der Major Robey auf und steckte seine Uhr ein. »Laß uns reden.«
    »Es stimmt«, flüsterte Robey reglos.
    »Du nimmst mich nicht auf den Arm?«
    »Nein, Sir.«
    »Erzähl mir, was passiert ist.«
    »Ein mickriger kleiner Kerl irgendwo unterwegs. Seine Haut hat vor Ungeziefer gewimmelt, und er trug Frauenkleider. Er hat sie einer Frau abgenommen, die er umgebracht und skalpiert hat. Mich hat er in den Kopf geschossen« – Robey zeigte auf seine Verletzung – »und mir das Pferd gestohlen. Ein herrliches Pferd, schwarz wie Pech.«
    »Himmel, es ist sein Pferd«, rief der Major aus und schlug sich mit der Faust in die offene Hand. »Wir haben d en Kerl gefunden, der dein Pferd gestohlen hat. Er sitzt schon im Bau. Es ist einer von den Unseren, und ich garantiere dir, wir werden uns um ihn kümmern.«
    »Woher sollen wir wissen, daß es sein Pferd ist?« fragte der Kavallerieoffizier. Bei der Beschreibung des Pferdes hatte er Spiegel und Schere beiseite gelegt und war aufgesprungen. »Nein«, sagte der Major und hob den Zeigefinger. »Der Junge sagt die Wahrheit, und Sie, Herr Offizier, rauben mir den letzten Nerv. Ich glaube, Sie mögen dieses launische Pferd lieber als die Menschen. So eine Geschichte denkt man sich nicht aus. Sie geben dem Jungen das Pferd zurück.«
    »Das werd ich nicht tun.«
    »Sie geben dem Jungen das gottverdammte Pferd auf der Stelle zurück, und damit Schluß.«
    Was sich da zwischen dem Major und dem Kavallerieoffizier abspielte, war eine sehr persönliche Angelegenheit, die lange geschwelt hatte und jetzt lichterloh brannte. Dem Major bereitete es sichtlich Genugtuung, seine Autorität so herauszukehren. Beleidigt schüttelte der Offizier seine Hosenbeine aus und richtete, die Hände hinter dem Rücken gefaltet, den Blick zur Decke, als erflehe er göttliche Hilfe. Nach einer langen Pause, mit der er deutlich machte, daß letztlich er allein die Entscheidung zu fällen habe, ging er unter dem boshaften Kichern der Wachposten zur Tür hinaus.
    »Ich schreibe dir einen Brief, der erklärt, weshalb du unterwegs

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