Der Glanzrappe
Lärm erfüllte die Straßen, drang in das rauchiggelbliche Licht des Hauses. Der Major machte schwungvoll kehrt und eilte zur offenen Tür, dicht gefolgt von den Wachsoldaten, die seine Uniformjacke und den Säbel trugen.
Robey blieb erwartungsvoll stehen, doch es schien sich niemand mehr für ihn zu interessieren. Die Frau ging mit dem Baby ans Fenster, konnte aber durch die Scheiben nichts sehen und öffnete das Fenster. Sie rief hinaus: »Der Zug ist da!«, und als sie vom Fenster zurücktrat, ergriff der Wind die Vorhänge und ließ sie heftig flattern. Der Lärm wurde unerträglich, der ganze Raum war plötzlich in gleißendes Licht getaucht, und Robey dachte, das wäre eine gute Gelegenheit, zu verschwinden und seinen Glanzrappen zu suchen. Aber irgend etwas stimmte nicht. Er spürte es.
»Geh nicht da raus«, zischte ihm der Weber zu, der sich über die Fensterbank hinausgebeugt hatte.
»Bleib hier, Junge«, sagte die Frau, nahm ihr Baby in den anderen Arm und ließ einen Revolver aus der Decke gleiten.
Er ging trotzdem den Flur entlang zur offenen Eingangstür, in der die alte Dame stand und mit ihrer Perlenkette spielte und zusammen mit dem Hausmädchen hinüber zum Bahnhof schaute, während der Major und die Wachsoldaten in den Sattel stiegen und davonritten.
»Geh nicht da raus!« warnte ihn auch die alte Dame, und als er an ihr vorbeiging, versuchte sie ihn am Kragen festzuhalten. Er entwand sich ihrem Griff und spürte ihre Fingernägel an seinem Hals.
Schon war er draußen vor der Tür, mitten im Durcheinander von Pferden und Fuhrleuten, Offizieren, die Befehle brüllten, und Kavalleristen, die schneidig über das Straßenpflaster donnerten. Menschen standen in ihren Hausern und spähten zwischen Vorhängen und den Lamellen der Fensterläden hinaus. Männer kamen mit wehenden Hemdschößen aus der Tür gerannt, stiegen eilig in die Stiefel und zogen sich die Hosenträger über die Schultern.
Er überquerte den Platz und ging die Straße entlang, auf die glitzernde Lokomotive mit ihren sich langsam hebenden und senkenden Treibstangen zu. Zischender Dampf erfüllte das schwarze Nachtgewölbe. Pferde bäumten sich erschreckt auf und mußten beruhigt werden. Noch immer spaltete der weiße Lichtstrahl eines Reflektors das nasse Dunkel, und rotgefärbte Dampfwolken wehten vorbei.
Ein Kavallerist schrie ihn an, und er sprang zurück, als Reiter und Pferd an der Stelle vorbeipreschten, wo er eben noch gestanden hatte. Inmitten des Lichts war der rote Stern des Spitzensignals zu sehen, und der Eisenklöppel schlug unentwegt gegen die Bronzewand der Glocke, als wollte er ihm ein ums andere Mal zurufen: Komm her, und schau dir etwas an, was du in deinem jungen Leben noch nicht gesehen hast.
Robey starrte auf das rhythmisch pulsierende Ungetüm aus Stahl und Kupfer. Den naß glänzenden Dampfkessel entlang zog sich ein goldgeränderter roter Streifen. Die Männer mit den schwarzen Gesichtern wurden langsam vorwärts getrieben, setzten zögerlich Fuß vor Fuß, als fürchteten sie, der Maschine zum Fraß vorgeworfen zu werden.
Geräuschvoll öffneten sich die Türen der Wagen, in denen Laternen angezündet wurden, so daß man verfolgen konnte, wie die Männer begannen, Kisten aus den Waggons in die Pferdewagen zu tragen. Die schwarze Haut ihrer Arme war naß und glitzerte silbrig im Licht, und i hre Gesichter waren verschmiert, als würden sie endlos stumme Tränen vergießen. Hin und wieder öffnete sich ein roter Mund, oder das Licht erfaßte das Weiße eines Auges, und sofort regte sich ein Soldat und hob brüllend sein Gewehr, ein zweiter tat es ihm gleich, und das Brüllen setzte sich den ganzen Zug entlang fort.
Robey wandte si ch ab, und in diesem Moment ent deckte er hinter der weißen Wolke, die aus dem Zylinder h ahn zischte, zwischen den breiten Stahlkanten des Gleisräumers den zerfetzten Kopf seines Braunen, dessen große perlmuttfarbene Augen für immer starr in die Ferne gerichtet waren. Ihm drehte sich der Magen um, und er spürte, wie sich sein Kiefer verkrampfte. Er empfand Haß und dachte daran, daß Wut nützlicher war als Verzweiflung. Aber daß ein Pferd so ein Ende nehmen mußte! Er dachte mit Erstaunen, wieviel Kraft die Lokomotive haben mußte, daß sie den Kopf des Pferdes glatt vom Körper abgetrennt hatte. Ihn überkam ein seltsames Gefühl. Schließlich faßte er sich wieder und beschloß, nun den Glanzrappen zu suchen und einen Revolver aufzutreiben, und dann wollte er auch
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