Der Glanzrappe
den von Läusen wimmelnden kleinen Mann finden.
Da hörte er, wie ein Soldat »Allmächtiger Gott!« schrie und zu Boden stürzte, und von den Mauern und den Pflastersteinen ertönte ein Geräusch wie brutzelndes Fett. Die Luft explodierte. Ein zweiter Soldat wurde von dem Druck weggeschleudert, und ein Reiter kam in Sicht und rief, eine große Streitmacht habe die Vorposten überrannt. Dann stürmten die Angreifer von allen Seiten in die Stadt, und im selben Augenblick zerriß das Feuer der Artillerie die Nacht. Es war, als wollte die Welt zerspringen.
9 FUNKENSPRÜHENDES GEWEHRFEUER
k am aus dem Dunkel. Kugeln prallten von den Hauswänden und landeten zischend in einer Pfütze, oder sie pfiffen durch das Laub des Hartriegels und das Grün der Nadelbäume und fielen dann als bleierner Regen zu Boden. Er beobachtete einen blutjungen Soldaten, der aus großer Entfernung in die Hand getroffen wurde. Die Wucht der Kugel schien ihm die Hand wegzureißen, er drehte sich um sich selbst, bis er zu Boden sank und stumm auf seine Hand starrte, überrascht von dem plötzlichen Schmerz.
Die angeschirrten Pferde hielten den Kopf in die Höhe, und ihre verschwitzten Flanken hoben und senkten sich bei jedem Atemzug. Sie tänzelten und stampften schwer auf, und dann setzten sie sich auf die Hinterhand oder legten sich auf die Seite, nachdem sich acht oder zehn Kugeln in sie hineingebohrt hatten, in das naß glänzende Fell, in den Widerrist, den langen Hals und den Brustkorb, in die Kruppe und in das kraftvolle Herz. Dabei zielte niemand auf die Tiere, in den ersten Minuten des Chaos war das Gewehrfeuer einfach ungeheuer dicht.
Er sah, wie eine Kanonenkugel über das Kopfsteinpflaster hüpfte, langsamer wurde und auf ihn zurollte. Er sprang zur Seite, aber ein anderer Soldat, der den vor Erstaunen weit aufgerissenen Mund voller weißer Kekse hatte, hob sein Gewehr über den Kopf, als wollte er in e inen Fluß steigen, und streckte den Fuß vor, um die Kugel zu stoppen. Im nächsten Augenblick war der Fuß ab, und Blut schoß aus dem Beinstumpf auf das Pflaster, das glitzerte wie rotes Glas. Eine weitere Kanonenkugel trennte erst einem Soldaten den Kopf glatt vom Rumpf und zerschmetterte dann einen zweiten Soldaten. Der kopflose Soldat ging noch drei Schritte, ehe er zu Boden fiel und, schon tot, noch eine Weile wie ein Fisch zuckte.
Robey stellte sich auf die Zehenspitzen, um das Beben unter seinen Füßen weniger stark zu spüren, und plötzlich packte ihn die Angst, sickerte ihm wie Sirup durch die Glieder. Seine Eingeweide flatterten, und sein Unterleib zuckte. Das war der Krieg, diese Nacht, dieser Regen, dieser einförmige Mond, die Erde, auf der sie standen, und der Himmel darüber. Er mußte sich zusammenreißen, um nicht in die Hose zu machen, und als der Drang nachließ, nahm er einem Toten den Revolver ab und dann noch einem und schob sich die Waffen in den Gürtel. Als hätte er das allein zu entscheiden, beschloß er, auf dieser kleinen Welt niemanden mehr so nah an sich heranzulassen, daß auf ihn geschossen werden konnte, solange er selbst die Chance hatte, als erster abzudrücken. Ihn würde der Krieg nicht töten.
Die Pferde bäumten sich wiehernd auf, als das Getöse erneut zunahm und sich schließlich selbst übertraf. Sie traten um sich und verfingen sich mit den Hufen in den Zügeln. Ein Eselhengst stürmte mit angelegten Ohren, den Schwanz steil in die Luft gereckt, wild schreiend über den Platz, und dahinter stolperte der Maultiertreiber, den gerissenen Führstrick noch in der Hand. Dem Tier strömte Blut aus den Nüstern und tränkte sein Fell. Der Esel rannte g eradewegs durch einen Eisenzaun und gegen eine Mauer, wobei er sich das Genick brach, und verendete dann in einem Blumenbeet. Im Licht der Laterne sah Robey einen Soldaten, dem eine Granate den Brustkorb zerfetzt und das pochende Herz freigelegt hatte und der im Delirium von einer Frau sprach, bevor auch sein Lebenslicht erlosch.
Die Kartätschen und Miniegeschosse schlugen auf dem harten Kies Funken. D er Major brüllte vom Sattel aus seine Befehle und kam jetzt mit seinem schweißnassen Pferd direkt auf Robey zugeritten, hielt unmittelbar vor ihm an. Robey spürte die Hitze des keuchenden Pferdes, das beinahe gestürzt wäre und sich nur mit Mühe auf den Beinen halten konnte.
»Runter!« brüllte der
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