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Der Glasmaler und die Hure

Der Glasmaler und die Hure

Titel: Der Glasmaler und die Hure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Wilcke
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Begeisterung zu Gemüte führte.
    »Das hier«, sie hob eines der Bücher hoch, »ist das
Katzipori
vom Michael Lindner. Ich wollte es schon seit langemlesen. Und das andere Buch, so versicherte mir der Verkäufer, soll … nun ja, äußerst frivole und sündhafte Texte beinhalten.«
    Martin seufzte. »Du gibst unser letztes Geld für solchen Schund aus?«
    »Ich mag diese Bücher, und außerdem haben Münzen in diesen Zeiten ohnehin keinen Wert mehr. Das hast du doch selbst behauptet.«
    Er schüttelte den Kopf, konnte sich ein Lächeln aber nicht verkneifen. »An dem Tag, als dein Vater beschlossen hat, dich das Lesen zu lehren, legte er den Grundstein zu meinem Ruin.«
    Sie schürzte die Lippen. »Das mag sein, aber wenn du nicht mehr so grantig bist, lese ich dir heute nacht daraus vor.«
    Martin konnte nicht anders, als ihre Sorglosigkeit zu bewundern. Ihrer Unbeschwertheit konnte selbst die größte Not nichts anhaben. Und ihre gute Laune wirkte ansteckend.
    Er lachte leise und führte Sophia die Treppe in den ersten Stock hinauf.
     
    Thea schenkte den Kindern, die johlend an ihr vorüberliefen und mit Holzschwertern gegeneinander kämpften, keine Beachtung. Ihr Blick war auf das dreigeschossige Fachwerkhaus auf der gegenüberliegenden Straßenseite gerichtet.
    Neben der Eingangstür hing an einem verzierten Eisenhalter ein hölzernes Ladenschild. Jeder Handwerker in der Stadt hatte ein solches Abzeichen über seiner Tür angebracht, damit auch die des Lesens unkundigen Bürger erkennen konnten, welchem Gewerbe in dem Haus nachgegangen wurde.
    Über dieser Tür nun befand sich ein Schild, auf dem ein prächtiges Buntglasfenster abgebildet worden war. Es handeltesich um die Werkstatt eines Glasmalers. Das Haus von Martin Fellinger. Wann immer Thea diese Straße zufällig passiert hatte, war sie kurz stehengeblieben und hatte versonnen das Gebäude betrachtet.
    Ihre Finger spielten mit dem silbernen Medaillon, und zum wiederholten Mal fragte sie sich, was sie hier eigentlich tat. Ihr knurrte der Magen. Sie hätte längst versuchen können, das Medaillon gegen eine karge Mahlzeit einzutauschen, auch wenn die Bereitschaft der Magdeburger Bürger, etwas von ihren schwindenden Vorräten herauszurücken, mit jedem Tag geringer wurde.
    Wann endlich würde diese Belagerung ein Ende finden? Die Zeit des Wartens empfand sie als schwere Last. Der Hunger zehrte an ihrem ohnehin schlanken, zierlich gebauten Körper. Nach den Wochen der Entbehrung empfand sie sich als dürr, und das würde sich früher oder später auch schlecht auf das Geschäft auswirken, denn die meisten Männer bevorzugten dralle Weiber mit großen Brüsten.
    Thea klappte das Medaillon auf und betrachtete noch einmal das Porträt der hübschen jungen Frau. War sie Martin Fellingers Eheweib?
    Plötzlich verließ sie der Mut. Es würde besser sein, sich nicht mehr in Martins Leben einzumischen und ihn womöglich in Verlegenheit zu bringen, doch das Medaillon gehörte Martin. Sie hatte es Julius nicht entrissen, um es für sich zu behalten.
    Kurz entschlossen trat Thea vor den Eingang. Die Türflügel waren mit Schnitzwerk versehen und mit kunstvollen Haspen und Beschlägen sowie einem prächtig geschmiedeten Türklopfer verziert, den sie benutzte, um auf sich aufmerksam zu machen. Sie würde das Medaillon jemandem vom Gesinde übergeben und sich rasch davonmachen.
    Thea hörte Stimmen und Schritte. Sie hatte erwartet, einer Magd zu begegnen, aber als die Tür geöffnet wurde, stand sie der Frau gegenüber, deren Porträt sich in demMedaillon befand. Ihr Gesicht hatte man auf dem Bild hervorragend getroffen, doch während sie auf dem Porträt recht ernst dreinschaute, begegnete diese Frau ihr hier mit einem freundlichen Lächeln. Sie trug ein schlichtes Kleid und hatte das Haar zu einem Zopf geflochten. Ein schwacher Duft nach Rosenwasser umgab sie.
    Unwillkürlich stellte Thea einen Vergleich an. Die Frau mochte etwas kräftiger gebaut sein als sie selbst, mit deutlich weiblicheren Formen, die sie allerdings keineswegs dicklich oder gar plump wirken ließen. Ihre Haare waren von gleicher Farbe und Länge, und auch die tiefbraunen, ausdrucksstarken Augen ähnelten den ihren.
    »Kann ich Euch behilflich sein?« fragte die Frau.
    »Ich bringe dies hier zurück.« Thea reichte ihr das Medaillon.
    Die Frau betrachtete verwundert das Schmuckstück. »Es gehört meinem Mann. Ich habe nicht gewußt, daß es ihm abhanden gekommen ist.«
    Also war dies tatsächlich

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