Der Glasmaler und die Hure
brannte.
Vor einem Monat hatte er seinen letzten Gesellen entlassen. Ein Jahr zuvor hatten sie noch zu viert in dieser Werkstatt gearbeitet. Sein Vater hatte oft davon erzählt, daß zu Beginn des Jahrhunderts zeitweilig mehr als ein Dutzend Männer in diesem Haus ihr Brot verdient hatte. Die Familie Fellinger stellte seit acht Generationen Glaser und Glasmaler in dieser Stadt, doch niemals zuvor war es um ihr Handwerk so schlecht bestellt gewesen.
Das Gewerbe der Glasmaler und Kunstverglaser befand sich im Niedergang. Bereits vor Ausbruch des Krieges war die Zahl der Aufträge zurückgegangen, doch seit die Kaiserlichen zur Mitte des vergangenen Jahrzehnts begonnen hatten, das Umland Magdeburgs zu besetzen und zu plündern, fand der Zufluß von Abgaben, Zinsen und Renten an Magdeburg ein schnelles Ende, und die wirtschaftliche Position der Stadt wurde entscheidend geschwächt.
Nachdem der Feldherr Wallenstein im März 1629 eine Blockade über Magdeburg verhängt hatte, geriet die Stadt durch die Handelssperre, die Beschlagnahme von Waren und Überfälle auf die Rinder- und Schweineherden nahe der Stadtmauer in weitere Not. Doch dieses Vorgehenschürte nur den Trotz der Bürger und führte zum Sturz des Stadtrats und der Inthronisierung eines protestantischen Bischofs. Die eindeutig proschwedische Stellung, welche die Stadt damit bezog, endete schließlich in der Belagerung durch Tillys Armee.
Martin war sich im klaren darüber, daß selbst mit dem Ende der Belagerung seinem Gewerbe niemals wieder eine Blütezeit bevorstand, wie die Vorväter sie erlebt hatten. Der Krieg würde wahrscheinlich noch sehr lange andauern. Sebastian hatte recht. Das Land war arm und blutete mit jedem Tag weiter aus. Kaum jemand war noch in der Lage, ein aufwendiges, in vielen Arbeitsstunden hergestelltes Buntglasfenster zu bezahlen, und auch die alten und beschädigten Fenster wurden nicht mehr ausgebessert.
Martin liebte seinen Beruf, und ihm wurde von vielen Seiten bestätigt, daß ihm das Geschick eines wahren Künstlers zu eigen war. Doch was nutzte ihm diese Begabung, wenn es keine Aufträge für ihn gab? Manchmal wünschte er sich, er hätte vor hundert Jahren gelebt, als Tag für Tag in dieser Werkstatt Schablonen angefertigt, das Glas zurecht geschnitten, es verbleit und die Schmelzfarben gemischt wurden. Welche Genugtuung mußte es sein, während eines Spaziergangs durch die Stadt an jeder Ecke ein eigenes Werk in den Fenstern der Kirchen, Klöster oder wohlhabenden Patrizierhäuser zu entdecken.
Martin hing diesen wehmütigen Gedanken nach, bis er Sophias Stimme aus der angrenzenden Diele vernahm. Er ging zu ihr, küßte sie auf die Wange und nahm ihr den großen Korb ab, in dem sich die nach Rosen duftende, feste weiße Seife befand sowie ein Bottich mit schwarzer Schmierseife. Der noch immer gefüllte Korb ließ Martin darauf schließen, daß sie wohl kaum etwas verkauft hatte.
»Den Menschen liegt ihre Reinigung nicht mehr am Herzen«, bestätigte Sophia diese Vermutung. Sie löste dieSpange aus ihrem Haar und ließ die walnußbraunen Lokken auf die Schultern fallen. Martin mochte es, wenn sie ihre glänzenden Haare offen trug, so daß sie ihr anmutig geschnittenes Gesicht umrahmten und ihre dunklen Augen noch stärker zur Geltung brachten.
»Aber ein Bettler an der Petrikirche tauschte diesen kleinen Käse gegen ein halbes Dutzend Seifenkugeln ein«, sagte Sophia.
»Ein Bettler? Seit wann achtet ein Bettler auf die Reinlichkeit?«
Sophia schmunzelte. »Seit ich ihn auf die Idee gebracht habe, die Seife dazu zu benutzen, es aus seinem Mund schäumen zu lassen.«
»Du hilfst ihm, eine Krankheit vorzutäuschen und die Leute zu betrügen?«
»Solange dieser kleine Betrug unsere Mägen füllt, helfe ich ihm gerne.«
Martin dachte an den Lumpen, der ihn hereingelegt und bestohlen hatte. Er überlegte kurz, ob er Sophia dieses Mißgeschick gestehen sollte, entschied sich dann aber dagegen.
»Von dem Käse werden wir wohl nicht satt werden«, meinte Sophia.
Martin legte einen Arm um sie. »Ich habe Sebastian aufgesucht. Er hat mir Brot, Zwiebeln und Eier mit auf den Weg gegeben.«
»Wunderbar.« Sophia strahlte. »Da erwartet uns ja ein regelrechtes Festmahl.« Sie langte in ihre Schurztasche und zog zwei dünne Bücher hervor. »Und für später habe ich die hier erworben.«
»Was ist das?« Ein Blick auf die Titelei verriet ihm, daß es sich um die übliche Art Schwankbücher handelte, die Sophia sich mit
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