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Der Glasmaler und die Hure

Der Glasmaler und die Hure

Titel: Der Glasmaler und die Hure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Wilcke
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die Thea durchbrach, indem sie auf das Medaillon deutete.
    »Sie ist deine Frau?«
    »Ihr Name ist Sophia. Wir haben vor einem Jahr geheiratet.«
    »Sie war sehr freundlich zu mir.«
    Thea merkte Martin an, daß ihm das Gespräch über seine Frau mißfiel. Seine Stirn legte sich in Falten, und er sagte: »Thea, warum mußtest du hierherkommen?«
    »Ist es dir so unangenehm, daß ich dein Haus betreten habe?«
    »Es geht nicht um dich. Ich weiß nur nicht, wie ich meiner Frau erklären soll, daß das Medaillon in die Hände einer …«
    »… einer Hure geraten ist«, beendete sie den Satz für ihn. Inzwischen bereute sie den dummen Entschluß, in dieses Haus zu kommen. Sie hatte Martin in eine verzwickte Lage gebracht, und ihr hätte klar sein müssen, daß er nicht gewillt sein würde, sich mit einer Dirne abzugeben.
    »Warum verkaufst du dich?« wollte er wissen.
    »Wäre es dir lieber, mich betteln zu sehen?« war ihre knappe Antwort.
    »Was ist mit deiner Familie?«
    »Mein Vater und meine Brüder starben an der Pest, kaum drei Monate, nachdem wir aus Magdeburg geflohen waren. Meine Mutter entschloß sich, in die Stadt zurückzukehren, und um uns beide zu ernähren, zogen wir in ein Hurenhaus. Sie wurde bald schwanger. Das Kind starb vor der Geburt im Mutterleib und vergiftete sie. Eine Hebamme zerrte das tote Kind aus ihrem Leib, aber meine Mutter war geschwächt und überlebte das Kind nur um wenige Tage.«
    »Und danach hast du dich den Männern angeboten.«
    »Ich wollte das nicht, und darum habe ich zunächst als Fischerin wie mein Vater gearbeitet. Der Gilde war ich jedoch ein Dorn im Auge. Man untersagte mir, meinen Fang auf dem Markt zu verkaufen. Was hätte ich tun sollen? Ich wollte nicht auf Almosen angewiesen sein, und darum kehrte ich in das Hurenhaus zurück.«
    Thea hörte Schritte auf der Treppe. Sophia Fellinger kehrte zurück und reichte ihr eine wohl bemessene Scheibe Schwarzbrot und ein kleines Stück Hartkäse. In der Lage, in der Magdeburg sich befand, kam dies einer großzügigen Entlohnung gleich. Thea vermutete, daß es auch einem Handwerker wie Fellinger schwerfiel, seine Hausgemeinschaft zu ernähren.
    »Mehr können wir leider nicht mit Euch teilen«, sagte Sophia Fellinger und schloß Theas Finger um das Geschenk.
    »Es ist das mindeste, was wir für Euch tun können«, fügte Martin an. Nun in Gegenwart seiner Frau pflegte er also eine förmliche Form der Anrede. Für Thea war dies ein weiterer Hinweis, daß ihm ihre Begegnung unangenehm war.
    »Ich danke Euch«, erwiderte Thea. Sie verstaute das Brot und den Käse in ihrem Rockschurz, dann trat sie unter den Türbalken.
    »Es wird besser sein, wenn ich jetzt gehe.«
    »Verratet Ihr uns noch Euren Namen?« fragte Sophia Fellinger.
    Thea zögerte kurz. »Dorothea ist mein Name, aber alle nennen mich Thea.«
    In Sophia Fellingers Gesicht schien sich für einen kurzen Moment eine Andeutung von Genugtuung abzuzeichnen. Martin indes schaute zur Seite und wirkte verlegen. Sein Verhalten verunsicherte Thea. Hatte er seiner Frau von ihr erzählt? War ihr gar der Name bekannt gewesen?
    Die beiden begleiteten sie bis auf die Straße, wo Sophia ihre Hand nahm. »Gott schütze Euch und alle, die Euch am Herzen liegen.«
    »Danke.« Thea vermied es, Martin anzuschauen, und ging langsam ein paar Schritte rückwärts auf die Straße. Dann wandte sie sich ab, bog in die nächste Gasse ein und holte das Brot hervor. Gierig biß sie davon ab. Auch wenn die Begegnung mit Martin enttäuschend verlaufen war, zahlte sich ihre Ehrlichkeit zumindest auf diese Weise aus.
    Thea hockte sich in den Schatten eines Hauseingangs, kaute bedächtig jeden Bissen und überlegte, wie es wäre, in einem Haus wie dem der Fellingers zu leben. In ihrem Innersten verspürte sie eine deutliche Eifersucht auf Sophia Fellinger. Sie neidete ihr die Aufmerksamkeit, die Martin ihr schenkte, denn sie selbst hatte niemanden in Magdeburg, der ihr am Herzen lag, und plötzlich fühlte sie sich sehr allein.
     
    Sobald Thea in der Gasse verschwunden war, drehte Martin sich um und zog sich in die Werkstatt zurück. Er wollte eine Weile allein sein, doch Sophia folgte ihm. Natürlich wußte sie, um wen es sich bei dem überraschenden Besuch gehandelt hatte. Sie hatte von Martin bereits vor ihrer Hochzeit alles über seine gewissen Liebschaften wissen wollen, und er hatte ihr die im Grunde doch recht unschuldige Liaison mit der Tochter des Fischers nicht verschwiegen. Warum auch? Er

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