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Der Glasmaler und die Hure

Der Glasmaler und die Hure

Titel: Der Glasmaler und die Hure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Wilcke
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Martin Fellingers Ehefrau. Thea befand, daß es nun wirklich an der Zeit war zu gehen. Sie wollte sich umdrehen, doch Frau Fellinger hielt sie zurück, indem sie eine Hand auf ihren Arm legte. Ihr Blick ließ ein gewisses Mißtrauen erkennen.
    »Wartet. Mein Mann wird sich gewiß für Eure Ehrlichkeit bedanken wollen.«
    Thea schüttelte den Kopf. »Das ist nicht nötig.«
    »Unsinn. Natürlich ist es nötig.« Martins Frau zog sie noch weiter zu sich heran. »Es wird nicht lange dauern. Und Ihr seid doch sicher hungrig.«
    Die Aussicht auf eine Mahlzeit ließ Theas Widerstand dahinschmelzen wie Butter in der Sonne. Frau Fellinger leitete sie in den Flur, in den nur wenig Tageslicht fiel. Eine junge Magd kam ihnen entgegen, die Thea mit einem höflichen Nicken bedachte und dann rasch den Blick senkte.
    Martins Frau führte sie eine Wendeltreppe hinauf, undsie betraten eine kleine Stube. »Wartet bitte hier. Ich rufe rasch meinen Mann herbei«, sagte Frau Fellinger und ließ Thea allein.
    Nie zuvor hatte Thea die Stube eines Bürgerhauses betreten. Alle Wände waren mit dunklem Holz vertäfelt und mit Schnitzereien und Intarsien verziert. Auf einem das Zimmer rund umlaufenden Borde befanden sich zahlreiche Zinnbecher, Leuchter und bunte Flaschen in den verschiedensten Formen. Die größte Aufmerksamkeit in dieser Stube zog zweifelsohne die Staffelei auf sich, die in der Mitte des Raumes stand. Auf ihr thronte ein prachtvolles Glasgemälde – eine herrliche Arbeit, auf der die Stadt Magdeburg zu einer friedvolleren Zeit abgebildet worden war. Thea trat näher an das Bild heran und fuhr mit einem Finger die Bleistege entlang.
    Zahlreiche Details waren in diesem Glasmosaik zu erkennen. Der strahlend blaue Himmel wurde von kleinen weißen Wolken durchzogen. Sie konnte viele charakteristische Merkmale der Stadt ausmachen: den Dom, das Rathaus, die Türme des Festungswalles und sogar einige Rinder und Schafe, die auf den Wiesen vor der Stadt angedeutet waren.
    »Du müßtest es sehen, wenn Sonnenlicht hindurch fällt.«
    Die Stimme hinter ihr riß Thea aus ihren Gedanken. Sie wandte sich um und sah Martin Fellinger.
    »Nur das Licht vermag die Kunst eines Glasmalers zur vollen Entfaltung zu bringen«, entgegnete Thea. »So hast du es mir damals erklärt.«
    Er machte einen Schritt auf sie zu. Seine Miene spiegelte Überraschung wider. Doch war da nicht auch eine gewisse Freude über dieses unerwartete Wiedersehen zu erkennen? Thea musterte ihn einen Augenblick lang. Aus dem schmächtigen Jüngling war ein großgewachsener, wohlgebauter Mann geworden. Martins blaue Augen strahlten noch immer große Freundlichkeit aus. Das kantige Kinnverlieh dem Gesicht eine energische Note. Thea hätte ihn nach all der Zeit gerne in die Arme geschlossen, aber sie spürte seine Reserviertheit, und darum hielt sie sich zurück.
    »Das Licht ist eine Illusion. Genau wie dieses Bild. Ich hätte wohl besser die Feldlager und die Einschläge der Kanonenkugeln darauf abbilden sollen, um der Wirklichkeit gerecht zu werden.« Martin schaute verdrossen drein, dann faßte er unter sein Wams und zog das Medaillon hervor.
    »Meine Frau sagte mir, daß du es zurückgebracht hast. Ich gebe zu, ich hatte vermutet, du würdest mit dem Dieb gemeinsame Sache machen.«
    Sein Verdacht verletzte sie. »Wie kommst du darauf?«
    »Entschuldige, es war dumm von mir, so etwas anzunehmen.«
    »Du solltest wissen, daß ich es nicht nötig habe zu stehlen.«
    Milde lächelnd legte er eine Hand auf ihre Schulter. »Ja, ich weiß.«
    Die Berührung ließ sie für einen Moment den Atem anhalten und verwandelte die vergangenen Jahre in einen Tag, eine Stunde, einen Augenblick.
    Martin schien zu spüren, daß diese Geste eine starke Reaktion in ihr hervorrief, und zog die Hand langsam zurück.
    Kurz breitete sich ein unangenehmes Schweigen zwischen ihnen aus. Dann sagte er: »Du bist dem Dieb also gefolgt und hast das Medaillon an dich genommen.«
    »So ist es.«
    »Warum tust du das für mich?«
    »Erinnerst du dich an das Versprechen, das wir uns gegeben haben?«
    Martin nickte. »An dem Tag, als wir mit dem Boot deines Vaters auf die Elbe gefahren sind. Wir versprachen uns, daß wir immer aufeinander achtgeben wollten.«
    »Und dann hast du mich geküßt, um es zu besiegeln«, half sie seiner Erinnerung auf die Sprünge.
    Er räusperte sich verlegen. »Ich werde dieses Versprechen nicht erfüllen können, Thea.«
    Wieder entstand eine betretene Stille zwischen ihnen,

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