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Der Glasmaler und die Hure

Der Glasmaler und die Hure

Titel: Der Glasmaler und die Hure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Wilcke
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Feind auseinanderzuhalten.
    Vor dem Abmarsch wurden an vielen Plätzen Gottesdienste abgehalten. Die Feldgeistlichen segneten die knienden Soldaten, schlugen das Kreuz über sie und versicherten ihnen die herrlichsten himmlischen Freuden, die ihnen allerdings nur dann gewährt würden, sofern sie sich in derbevorstehenden Schlacht mutig dem Feind entgegenstellten und nicht zurückwichen.
    Thea hatte in dieser Nacht kaum geschlafen. Zu groß war ihre Aufregung über die Folgen, die dieser Tag mit sich bringen mochte. Ihr eigenes Schicksal war eng mit dem Ausgang der Schlacht verknüpft. Was würde mit ihr und Martin geschehen, wenn die Truppen des schwedischen Königs von den Kaiserlichen besiegt und auseinandergetrieben wurden? Der Gegner würde den Troß plündern und in vagabundierende Scharen zerfallen lassen, die ihrerseits hungernd und verwahrlost wie eine biblische Plage über die einheimische Bevölkerung herfallen würden.
    Ein heißer Tag zog herauf. Auf den meisten der jungen Gesichter perlten Schweißtropfen, wenn sie mit geschulterten Musketen, Piken oder Partisanen in schier endlosen Kolonnen an dem Platz vorbeizogen, an dem sich rund zwei Dutzend Feldscher und deren Gehilfen versammelt hatten. Vielen Soldaten war die Todesangst anzusehen. Sie wirkten so blaß und elend, als müßten sie sich jeden Moment übergeben. Andere legten wiederum eine grimmige Entschlossenheit an den Tag, als hätten sie begierig darauf gewartet, dem Feind gegenübertreten zu können.
    Endlich tauchten die Wagen auf, die die Feldscher in die Nähe der Kampflinie schaffen sollten. Thea, Martin und Conrad zwängten sich mit neun anderen Männern und Frauen auf das vorderste Gefährt. Der Kutscher trieb die Pferde an, und rumpelnd folgte der Wagen den Marschkolonnen.
    Sie wurden in die Ortschaft Podelwitz geschafft. Das Dorf lag knapp eine Meile nördlich des Aufmarschgebietes und bestand aus einer Kirche und etwa zwanzig windschiefen, aus Lehm und Holz errichteten Häusern.
    Als der Wagen hielt, kletterte Thea als erste hinab und wischte sich den Staub aus den Augen, der von den Stiefeln der Soldaten aufgewirbelt wurde.
    Während die Schweden und Sachsen südwärts zu der Ebene zogen, die zum Ort der Schlacht bestimmt worden war, strömten ihnen Hunderte Männer, Frauen und Kinder in entgegengesetzter Richtung entgegen. Thea vermutete, daß es sich um Bewohner der umliegenden Dörfer und Marktflecken handelte, die auf Karren oder in Säcken und Kisten ihr wichtigstes Hab und Gut vor den herannahenden Streitkräften in Sicherheit brachten.
    Eine knochige Frau mit einem Kind an der Hand trat auf Thea zu und bat um einen Schluck Wasser. Thea reichte ihr einen Lederschlauch, aus dem die Frau und das Kind begierig tranken.
    »Ich danke Euch«, sagte die Frau.
    »Aus welchem Dorf stammt ihr?« wollte Thea wissen.
    »Breitenfeld.« Die Frau schaute kurz mit einem Ausdruck banger Erwartung dorthin zurück, von wo sie gekommen war. »Ich bete darum, daß sie unsere Häuser verschonen.«
    Thea hätte ihr gerne aufmunternde Worte mit auf den Weg gegeben, doch die mächtigen Kanonen, die an ihnen vorbeigeschafft wurden, hätten diesen Trost lächerlich klingen lassen. So wünschte sie der Frau nur alles Gute und ließ sie ihrem ungewissen Schicksal entgegenziehen.
    Thea, Martin und Conrad wurden in die Kirche beordert, wo bereits ein notdürftiges Lazarett eingerichtet worden war. Den Boden hatte man mit Stroh bedeckt, und es standen wohl an die zwanzig Tische für die Amputationen bereit. An den Tischen hingen Lederschlaufen, um die Söldner, die unter die Sägen der Chirurgen gerieten, festschnallen zu können. Mehrere Feldscher und Geistliche erteilten ihren Knechten und Helfern lautstarke Anweisungen und ließen sie Wasserkübel heranschleppen, verdünnten Branntwein in Korbflaschen füllen oder noch einmal die Messer und Sägen schärfen.
    Ein sanftes, fast schon träumerisches Licht fiel durch diebunten Fenster auf den schmutzigen Boden und die Wände, von denen der Putz bröckelte. Thea betrachtete einen Moment lang versonnen den gekreuzigten Heiland, der über der Kanzel befestigt war und mit leidendem Blick die Vorbereitungen verfolgte.
    Draußen versiegte inzwischen der lange Strom der Marschierenden. Auch das Poltern der Artillerie und das Hufschlagen der Reiterverbände waren nicht mehr zu hören. Eine trügerische Ruhe stellte sich ein.
    Welchen Anblick mochten die sich nun Auge in Auge gegenüberstehenden Armeen bieten? Thea

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