Der Glasmaler und die Hure
Dirne, und ich bin es gewohnt, mit diesen Risiken umzugehen«, sagte sie. »Ihr alle profitiert davon. Glaubst du wirklich, wir könnten von den wenigen Kreuzern überleben, die deine Patienten springen lassen? Wer schafft die Bündel mit Fleisch heran? Ganz zu schweigen von deinen geschätzten Tabakrationen und vor allem den von dir so begehrten Malvasier, mit dem der Krämer Eckhardt meine Dienste entlohnt. All das ermöglicht uns ein Leben, das besser ist als das der meisten Menschen in diesem Troß. Und wenn es bedeutet, daß ich von Zeit zu Zeit einen Bankert raustreiben muß, dann bin ich dazu bereit.«
Thea wandte sich um und wunderte sich über Conradsseltsame Miene. Erst da bemerkte sie, daß Martin im Zelteingang stand und sie wütend anstarrte.
»Wie herzlos muß man sein, um so über ein Kind zu sprechen«, sagte er und verzog das Gesicht. Einen Moment lang standen sie sich reglos gegenüber, dann spuckte er auf den Boden und ging fort.
»Was ist mit ihm?« raunte Thea.
»Du weißt es nicht?« Conrad rieb sich das Kinn. »Dann hat er anscheinend nie mit dir darüber gesprochen.«
»Worüber?«
»Seine Frau war schwanger, als man sie erschlug. Ich glaube, dieser Schmerz quält ihn am meisten. Ihm wird nicht gefallen haben, was du gerade zu mir gesagt hast.«
»Oh, verdammt!« Thea hätte sich ohrfeigen können. Welche Wunden mochte sie in Martin aufgerissen haben? Rasch brachte sie ihr Kleid in Ordnung und lief ihm hinterher.
Sie fand ihn auf dem Wagen, wo er seinen Kopf auf die angezogenen Knie gelegt hatte und nachdenklich zu Boden starrte. Thea setzte sich neben ihn und legte behutsam einen Arm um seine Schultern. Es hätte sie nicht überrascht, wenn er sie von sich gewiesen hätte, doch er blieb ruhig sitzen und atmete schwer.
»Es tut mir leid«, sagte sie leise.
»Geh bitte!«
Thea überlegte, ob sie seiner Bitte Folge leisten sollte. Doch sie entschied sich dagegen.
»Conrad hat mir erklärt, warum es dich so sehr verletzt, was ich gesagt habe. Ich hätte dir dieses Glück gegönnt, Martin. Du wärest ein wunderbarer Vater gewesen und Sophia eine gute Mutter. Aber ich bin nicht Sophia, und ich lebe nach meinem eigenen Gutdünken.«
Er nickte und schaute sie ausdruckslos an. »Das weiß ich. Doch als du vorhin so abfällig über eine mögliche Schwangerschaft gesprochen hast, wurde mir wieder einmalbewußt, was ich in Magdeburg verloren habe, und der Gedanke daran zerreißt mich fast.« Erneut stach die Wut aus seinen Augen hervor. »Ich hasse nicht dich, Thea, sondern die Männer, die Sophia getötet haben. Diese Teufel verdienen nichts anderes als den Tod, und mich quält noch immer die Frage, ob sie noch am Leben sind.«
Martin machte ihr Angst. Wenn der Haß so stark aus ihm hervorbrach, kam er ihr wie ein Fremder vor, der Gefahr lief, die Kontrolle über sich zu verlieren.
»Gott wird für Gerechtigkeit sorgen«, behauptete Thea. »Auch wenn diese Männer nicht gestorben sein sollten, wird er sie zu gegebener Zeit strafen. Vielleicht sucht er sie mit der Cholera oder dem Typhus heim, oder er läßt sie von herumziehenden Landsknechten erschlagen. Die Vergeltung ihrer Sünden ist nicht deine Aufgabe. Sie liegt in Gottes Hand.«
»Ich wünschte, ich wäre davon so überzeugt wie du.« Martin hob die Augen skeptisch zum Himmel. »Aber ich zweifle daran, ob ich mich auf diesen Gott verlassen kann.«
Kapitel 10
Ende August traf Gustav Adolfs Heer nördlich von Leipzig ein und bereitete sich auf die bevorstehende Schlacht vor. Kundschafter berichteten davon, daß Tillys Armee nur wenige Meilen entfernt biwakierte. Niemals zuvor hatten sich die beiden Kontrahenten so nah gegenübergestanden.
Für Thea bestand nun kein Zweifel mehr daran, daß es zu einer blutigen Auseinandersetzung kommen würde. Die schwedische Armee war von einem hektischen Eifer erfaßt worden. Wo Thea sich auch aufhielt, vernahm sie den scharfen Befehlston der Offiziere, die ihre Soldaten noch einmal auf das schärfste drillten.
In langen Reihen übten sich die Männer im Kampf mit der Pike. Musketenschützen marschierten auf und ab und bekamen die Handhabung ihrer Waffe eingebleut, bis so mancher von ihnen in der Hitze des Spätsommers zusammenbrach. In der Ferne waren die Reiterschwadronen zu erkennen, die mit donnerndem Hufschlag immer neue Formationen bildeten und mit blank gezogenen Degen auf einen imaginären Gegner zustürmten.
Inzwischen waren auch die Verbände der neugewonnenen Verbündeten
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