Der Glasmaler und die Hure
malte sich in Gedanken die Szene aus, die ihr Jöran Poutiainen beschrieben hatte. Zwei langgestreckte Kolosse, nur wenige hundert Schritte voneinander entfernt. Vor ihnen die zahlreichen Geschützbatterien, die noch vor dem ersten Schritt eines Soldaten die Kugeln und Kartätschen in die Reihen feuerten und einen blutigen Tribut forderten.
Als hätte Thea mit ihren Gedanken eine Reaktion provoziert, schreckte sie ein lautes Dröhnen auf. Ein schnelles Stakkato an Kanonenschüssen machte ihr klar, daß die Schlacht in diesem Augenblick begonnen hatte. Der Boden unter ihren Füßen erzitterte, und der ohrenbetäubende Donner der Kanonen ließ jeden, der sich in der Kirche aufhielt, für einen Moment erstarren. Die erste Regung erhaschte Thea dann von Conrad, der argwöhnisch seine Hände betrachtete und mit ihnen wie mit aufmüpfigen Kindern sprach.
»Laßt mich nicht im Stich an diesem Tag. Nicht heute.«
Thea beunruhigte der Gedanke, daß die Gicht Conrad allzusehr beeinträchtigen würde. Sie hatte die anderen Feldscher bei den Vorbereitungen beobachtet und nicht den besten Eindruck von ihnen gewonnen. Einigen stand die Furcht vor dem, was hier bald geschehen mochte, deutlich ins Gesicht geschrieben, andere hatten sich nicht einmal die Mühe gemacht, ihre schmutzigen Werkzeuge zusäubern. Ein grobschlächtiger, graubärtiger Bader war bereits so betrunken, daß er sich in einer Ecke übergeben hatte. Er sackte in seinem Dreck zusammen und schlief ein. Erst der Lärm der Geschütze ließ ihn hochfahren.
Etwa eine Stunde nach dem Einsetzen des Kanonendonners wurden auf Wagen und Karretten die ersten Verletzten herangeschafft. Einige Männer suchten vor der Kirche aus den blutigen und zerfetzten Leibern die Toten heraus und ließen die Soldaten, die noch lebten, in das Lazarett schaffen.
Zunächst waren es nur einige Dutzend, die vom Schlachtfeld zu ihnen gekarrt wurden, doch die Zahl stieg rasch in die Hunderte. Die Kirche war bereits nach kurzer Zeit völlig überfüllt, so daß viele Männer auf dem ungepflasterten Vorplatz niedergelegt werden mußten. Hier im Gotteshaus kauerten die schreienden und wimmernden Soldaten Schulter an Schulter nebeneinander. Der schwere Geruch des Blutes hing so drückend in der Luft, daß Thea oftmals glaubte, nicht mehr atmen zu können. Zudem lockte die Hitze unzählige Fliegenschwärme an, welche die frischen Wunden wie schwarze, pulsierende Flecken bedeckten.
Sie teilten sich die Arbeit auf. Martin amputierte mit der Knochensäge die Gliedmaßen, die von den Geschützkugeln zerschmettert worden waren, oder zog mit einer Zange die Kartätschen aus dem Fleisch. Thea rieb die Verletzungen mit dem Digestivum ein, bevor sich Conrad daran machte, Hautstreifen von den Oberschenkeln abzutrennen, um diese auf die Wunden und Stümpfe zu nähen. Anschließend legte Thea die Verbände an.
Trotz all der Qualen und Schmerzen, von denen sie hier umgeben waren, beobachtete Thea stolz, mit welchem Elan Martin sich dieser schwierigen Aufgabe widmete. Die alte Lethargie, die ihn in den vergangenen Wochen belastet hatte, schien plötzlich vergessen. Martin arbeitete schnell und präzise. Conrad mußte ihm ein guter Lehrer gewesensein, denn Martin stand den anderen Feldschern in nichts nach. Während die meisten Ärzte immer wieder erschöpft die Arbeit ruhen ließen, um kurz aus der Kirche zu treten und der erstickenden Enge zu entfliehen, verschnaufte Martin keinen Augenblick.
Ein Junge wurde herangeschafft, der nicht älter als zehn oder elf Jahre sein mochte. Er schien einer Ohnmacht nahe, ertrug aber trotzdem tapfer die Schmerzen. Der Knabe war offensichtlich als Trommler mit den Soldaten in die Schlacht gezogen, denn in seiner linken Hand hielt er noch immer ein Holzstöckchen umklammert. Den rechten Arm hingegen hatte wohl eine Geschützkugel gestreift. Er baumelte zerfetzt und mit gesplitterten Knochen von der Schulter herab. Auch der Unterleib war getroffen worden. Martin schnitt die Hose auf, und ein Schaudern durchlief Thea, als sie erkannte, daß das Geschlecht des Knaben abgerissen worden war und der zerstörte Blasenkanal offen vor ihnen lag. Obwohl es kaum eine Hoffnung für den Jungen gab, schnürte Martin ein Lederband um den Oberarm und bereitete die Amputation des Armes vor.
Thea strich dem Knaben sanft über das Haar. Er schaute sie an, ohne ein Wort von sich zu geben, und stierte stumpf ins Leere.
»Halt ihm die Augen zu«, meinte Martin.
Thea nickte und legte eine Hand
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