Der Glaspavillon
alles an. Ich schilderte meine Kindheit, unsere Freundschaft zu den Martellos – Theo erwähnte ich nur flüchtig – und Natalies Verschwinden.
Ich erzählte ihm von meiner Heirat mit Claud, wie jung ich damals war und wie meine Ehe im Lauf der Jahre immer mehr zerfiel – wie eine Sandburg, die der Wind nach und nach abträgt, bis nichts mehr von ihr übrig ist.
Bis ich Claud endlich verließ. Ich beschrieb, wie wir Natalies Überreste gefunden hatten. Caspar war ein guter Zuhörer.
Ich erklärte ihm, daß ich irgendwann merkte, wie unglücklich ich war, und daß ich mich nach einigen fehlgeleiteten Anläufen (ich gestand meinen ersten mißglückten Therapieversuch, erwähnte jedoch William nicht) zu einer Therapie bei Alex Dermot-Brown entschlossen hatte.
»Was hast du dir von der Therapie versprochen?«
erkundigte sich Caspar.
»Vermutlich wollte ich dadurch mein Leben wieder selbst in den Griff bekommen. Ich hatte das Gefühl, im Chaos zu versinken, und wußte nicht, wie ich wieder herausfinden sollte. Später entwickelte sich das Ganze allerdings mehr zu einer Suche nach meiner wahren Vergangenheit.«
»Ziemlich großes Vorhaben«, sagte Caspar leise.
Ihm von der Therapie zu erzählen war ungleich schwieriger. Die Erkenntnisse, die ich auf der Couch gewonnen hatte, entglitten mir immer wieder, wie Quecksilber-kügelchen, die man mit dem Finger aufnehmen will.
»Er hat mir geholfen, aus meinem Leben eine zusammenhängende Geschichte zu machen«, wiederholte ich unbeholfen Alex’ Worte.
»Ich hab immer gedacht«, entgegnete Caspar, »der Reiz der Psychoanalyse läge darin, die eigenen Lebensge-schichte kennenzulernen und in Worte zu fassen.«
War das eine Kritik an mir oder ein Kompliment?
Wahrscheinlich weder das eine noch das andere.
»Es fällt mir schwer, darüber zu reden – und ich kann mich so schlecht an die chronologische Reihenfolge erinnern«, gestand ich. »Es ist mehr wie ein Raum, in dem ich mich selbst erforscht habe. Aber ich bin mir nicht sicher, ob ich weitermachen soll – welchen Zweck das jetzt alles hat. Außerdem« – die Bar füllte sich allmählich, und ich mußte die Stimme heben, damit Caspar mich verstand –, »außerdem ist es irgendwie unheimlich. Ich habe mir früher nie Gedanken darüber gemacht, wie es Menschen gelingt, so viel Leid mit sich herumzutragen und dennoch ihr Leben zu meistern. Ich bin mir auch immer noch nicht im klaren darüber, ob es richtig ist, Erinnerungen auszugraben und alte Wunden aufzureißen.
Vielleicht sollte man schreckliche Ereignisse einfach ruhen lassen.« Mich fröstelte. »Natürlich nicht in meinem Fall. Aber ich bin der Ansicht, es gibt Dinge, die keiner Erklärung bedürfen. Und zuweilen muß angerichteter Schaden in absolut dichten Behältern aufbewahrt werden, wie nuklearer Müll. So was ist natürlich Ketzerei in den Augen der Psychologen. Außer bei den Skeptikern, zu denen auch Alex gehört.«
»Du stehst dem allem Gott sei Dank genauso skeptisch gegenüber«, bemerkte Caspar.
»Und du hast Gott sei Dank nicht das Wort befähigt verwendet«, lachte ich.
Zum Schluß erzählte ich ihm noch von der Gruppe, an der ich teilgenommen hatte, aber er sagte kein Wort dazu.
»Tja, das war’s. Und jetzt weißt du hundertmal mehr über mein Leben als ich über deines.« Plötzlich war ich ganz befangen, als wären im Kino die Lichter angegangen.
»Meine Zeit kommt noch«, sagte er und winkte dem Kellner.
»Die Rechnung, bitte.« Er nahm seine Brille ab und zog seine Handschuhe an. »Ich muß zu Fanny nach Hause«, sagte er.
»Übrigens erwähnt sie dich immer wieder.«
Wir gingen gemeinsam hinaus. »Kommst du zurecht?«
»Ja«, antwortete ich und war auch überzeugt davon.
»Und du rufst mich an?«
»Ja. Diesmal ganz bestimmt.«
»Na dann, auf Wiedersehen.«
»Auf Wiedersehen, Caspar. Vielen Dank.«
Einen Moment befürchtete ich, er würde mich berühren, aber er tat es glücklicherweise nicht.
34. KAPITEL
Eines Abends brachte Claud mir auf dem Weg von der Arbeit meinen Karton von Stead vorbei. Zögernd stand er vor der Tür. Er fragte zwar nicht, erwartete aber offenbar, daß ich ihn auf einen Drink hereinbat, ihn zum Essen einlud oder mich bereit erklärte, wieder mit mir zusammenzuleben. Aber ich widerstand jeder Versuchung.
Ich wollte allein sein, wenn ich den Inhalt des Kartons durchsah. Claud erzählte mir, wie die Dinge auf Stead standen, nun da Jonah alles losgeworden war und der Besitz bald verkauft werden
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