Der Glaspavillon
vor mir, wie er sich ein Kotelett briet, sich dazu ein Glas Wein einschenkte und sein bescheidenes Mahl vor den Neun-Uhr-Nachrichten zu sich nahm. Anschließend ging er durch die Wohnung, strich hier einige Kissen glatt, zog dort die Vorhänge zu und prüfte, ob die Wohnungstür richtig verschlossen war und seine Anziehsachen für den nächsten Tag bereitlagen. War auch der Wecker richtig eingestellt, daß er ihn am Morgen mit Radioklängen aus dem Schlaf holte? Dann legte er sich in die Mitte des Doppelbetts und wartete darauf, daß er einschlief.
Bestimmt verfolgten ihn unablässig die Bilder der jüngsten schrecklichen Ereignisse, aber er schaffte es irgendwie, sich mit ihnen zu arrangieren. Obwohl er so heikel ist, so vernünftig, ein solcher Gewohnheitsmensch und Pedant, hat er doch Mut – wahrscheinlich weil er letztlich ein Stoiker ist.
Einmal lud ich ihn zum Abendessen ein. Es war das erste Mal, seit wir uns getrennt hatten, daß ich für ihn kochte –
wenn man das Pilzessen einmal außer acht läßt. Nervös plante ich das Menü; schließlich sollte es weder zu sehr aus dem Rahmen fallen – als hätten wir ein Rendezvous –
noch zu alltäglich sein – als wären wir immer noch Mann und Frau. Letztlich entschied ich mich für etwas ganz Simples: Hähnchen mit Knoblauchbrot und Salat, eine Käseplatte und Obst. Fünfundvierzig Minuten bevor er erscheinen sollte, schnitt ich zwei rote Paprikaschoten in Streifen, rieb sie mit Knoblauch ein und fritierte sie. Wenn sie abgekühlt waren, wollte ich sie mit Balsamico-Essig und abgetropften Dosentomaten mischen. Ich würzte das Hähnchen mit Rosmarin und schob es in den Ofen.
Anschließend wusch ich den Salat und vermengte ihn mit Fenchel und Avocado in einer Schüssel. Ich überlegte kurz, ob ich meine Bürokluft anlassen oder mich lieber umziehen sollte. Schließlich blieb ich, wie ich war –
allerdings tuschte ich mir die Wimpern und tupfte mir Rosenwasser hinter die Ohren.
Claud beim Essen zuzusehen ist ein Vergnügen. Er geht ganz methodisch vor, spießt ein bißchen von allem auf seine Gabel, kaut das Ganze gründlich und spült es mit einem Schluck schwerem Chardonnay hinunter. Ihn zu beobachten erinnert mich an früher, als ich Daddy morgens beim Rasieren zuschauen durfte. Ob wir je wieder zusammenfinden würden, überlegte ich, während ich Clauds schmale Handgelenke betrachtete, seine geschickten langen Finger, sein ruhiges konzentriertes Gesicht. Heute abend erschien mir der Gedanke gar nicht so abwegig – auch wenn ich mich im selben Augenblick fühlte, als wäre ich besiegt worden. Als er fertig gegessen hatte, legte er Messer und Gabel ordentlich nebeneinander, wischte sich mit einem Zipfel der Serviette über seinen ohnehin sauberen Mund und lächelte mich an.
»Wer ist Caspar?«
Mit dieser Frage hatte ich nicht gerechnet.
»Ein Freund.«
»Mehr nicht?«
»Ich möchte nicht darüber reden.«
»Sag mir wenigstens, ob es ernst ist.«
»Es gibt kein ›es‹. Ich habe Caspar seit Wochen nicht gesehen . In Ordnung?«
»Reagier doch nicht gleich so gereizt, Janey.«
»Nenn mich nicht Janey.«
Er schnitt sich zwei Stückchen Käse ab und nahm ein paar Cracker aus der Dose.
»Meinst du nicht, ich habe ein Recht darauf, es zu erfahren?«
»Nein, hast du nicht.«
Jetzt ging es mir schon besser – das Gefühl, wir könnten unsere Ehe vielleicht doch wiederbeleben, verblaßte. Wäre das Abendessen doch bloß schon vorbei. Ich wollte ins Bett gehen, einen Thriller lesen und dabei Tee trinken.
Claud jonglierte ein Stückchen Ziegenkäse auf einem Cracker, steckte den Happen in den Mund und kaute eine Weile.
»Das Problem ist, daß ich mich immer noch mit dir verheiratet fühle«, erklärte er sachlich. »Für mich bist du nach wie vor meine Frau. Und ich bin dein Mann.«
»Hör mal …«
»Ich bin noch nicht fertig.« Offenbar merkte er nicht, daß er den falschen Zeitpunkt erwischt und etwaige Chancen für heute bereits verspielt hatte. »Dieses Gefühl ist noch stärker geworden, seit Dad seine Schuld gestanden hat. In dieser furchtbaren Zeit, die wir durchgemacht haben – eine schlimmere kann man sich wirklich nicht vorstellen –, haben wir uns gegenseitig unterstützt. Oder habe ich dir nicht geholfen?«
Ich nickte stumm.
»Ich will offen zu dir sein – einer der Gründe, weshalb ich das alles durchgestanden habe – diese scheußliche Situation –, war die Hoffnung, daß wir dadurch möglicherweise wieder zusammenfinden.
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