Der Glaspavillon
sollte. Ich hörte ihm zu, stellte aber keine Fragen und ging kaum auf seine Worte ein. Nach ein paar Minuten versiegte unser Gespräch, und ich stand noch immer unnachgiebig in der halboffenen Tür. Claud sah niedergeschlagen aus und meinte, es sei wohl besser, wenn er sich jetzt auf den Weg mache. Ich dankte ihm, daß er mir den Karton vorbeigebracht hatte.
Daraufhin wirkte er noch enttäuschter und murmelte etwas, was ich nicht verstand; aber ich fragte nicht nach.
Er sah mich leidend an und ging davon.
Die Brüder hatten damals natürlich ständig auf Stead gelebt, aber auch Paul und ich hatten dort unsere Kartons.
Martha und Alan hatten sie uns geschenkt, als wir noch klein waren. In diese Kartons packten wir die Besitztümer, die wir auf Stead hatten; Dinge, die, wenn wir gegen Ende des Sommers zurück in den Alltag mußten, weggepackt und auf dem Dachboden verstaut wurden. Wenn wir im darauffolgenden Juli den Alltag hinter uns ließen und zurückkehrten, liefen wir als erstes hinauf, kramten unsere Kartons hervor und holten die Dinge heraus, die in der Zwischenzeit kleiner geworden waren, weil wir gewachsen waren.
Irgendwie paßte der Karton nicht hierher, sein Anblick hatte geradezu etwas Anstößiges. Er gehörte zu Stead, zu meiner Vergangenheit. Als ich versuchte, ihn hochzu-heben, bedauerte ich fast, Claud nicht hereingebeten zu haben. Meine Arme waren zu kurz, ich konnte den Karton nicht umfassen und mußte ihn daher durch den Flur ziehen. Dabei entstand ein Geräusch, wie wenn ein Finger-nagel über eine Fensterscheibe kratzt, und der Karton hinterließ eine weiße Spur, die mir, wie ich fürchtete, erhalten bleiben würde. Es gelang mir, ihn bis in die Küche zu schleifen, wo ich ihn neben dem Tisch stehenließ.
Das Ganze würde eine Weile dauern. Zur Stärkung mixte ich mir einen Gin Tonic, holte ein neues Päckchen Zigaretten aus der Duty-free-Schachtel, die Duncan in einem Anfall von Toleranz letzte Woche für mich am Flughafen erstanden hatte, zündete die erste an und öffnete den Karton. Der Inhalt unterschied sich sehr von dem der Kartons, die ich auf meinem eigenen Dachboden stehen hatte. Dieser enthielt keine Bündel alter Briefe, die mit einem Band verschnürt waren, oder alte Zeitungsaus-schnitte, Studentenausweise, Aufsätze, Zeugnisse, Schul-fotos. Sein Inhalt sagte nichts über mein Leben aus, sondern barg Bruchstücke der kurzen Momente zwischen meinem Alltagsleben.
Ich nahm ein paar alte Bücher heraus. Das kleine weiße Pferd, Anna von Green Gables, Stolz und Vorurteil, Vier Schwestern, Kim und einige Wie funktioniert das? Am liebsten hätte ich jedes sofort aufgeschlagen und durch-geblättert, doch ich legte sie mir für eine spätere Gelegenheit zur Seite. Dann kamen einige unnütze Sachen zum Vorschein wie alte Füller, Batterien, ausgetrocknete Klebstofftuben, einzelne Ohrringe, Lippenstifthüllen ohne Lippenstift. Warum hatte ich das nicht in den Mülleimer geworfen? Jede Menge Krimskrams. Ein herzförmiges Kästchen voller Watte. Was hatte ich darin aufbewahrt?
Kämme. Einen großen, bemalten Stein, den ich als Briefbeschwerer zu benutzen beschloß. Einen kleinen, getöpferten Teller mit dem Bild eines Affen. An den konnte ich mich überhaupt nicht erinnern. Ich würde ihn vielleicht für Büroklammern verwenden. Ein paar alte Kassetten. Ein paar Taschenreiseführer über Griechenland und Italien wanderten schnurstracks in den Müll. Ich hatte den Griechenlandreiseführer gekauft und war bis zum heutigen Tag nicht da gewesen.
Ganz unten entdeckte ich alte Notizbücher. Wir alle, aber besonders Natalie und ich, schrieben und schrieben, vor allem an jenen Sommertagen, an die wir uns ungern erinnerten, weil es unablässig regnete und wir im Baum-haus herumsaßen. Ich blätterte die Bücher kurz durch, entdeckte verblichene alte Zeichnungen und Geschichten, Zettel, auf denen wir Schiffeversenken gespielt oder Männchen gekritzelt hatten, Briefe. Und die Tagebücher, die ich fast jedes Jahr geführt hatte. Plötzlich durchzuckte mich ein Gedanke, und ich stöberte, bis ich schließlich ein zerfleddertes rotes Schulheft fand, auf dem »J. Crane.
Tagebuch. 1969« stand. Ich blätterte es hastig durch, bis ich bei den letzten Seiten angelangt war. Das war natürlich sinnlos. Es gab keinen Eintrag am Tag nach der Party oder am Tag der Party selbst. Damals war das Leben zu sehr von Gefühlen beherrscht, um in einem Tagebuch festgehalten zu werden. Was hatte ich in den letzten
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