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Der Glaspavillon

Titel: Der Glaspavillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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zum erstenmal, daß Sex etwas war, an dem ich Geschmack finden könnte. Wir lagen den Rest der Nacht nebeneinander und redeten. Gegen fünf murmelte Caspar etwas von Fanny. Ich küßte ihn, stand auf, zog mich an, küßte ihn noch einmal leidenschaftlich zum Abschied und ging. Als ich im Morgengrauen durch die Straßen radelte, dachte ich mitleidig an all die Leute, die um diese Zeit in ihrem Bett lagen und schliefen.

    35. KAPITEL
    Am Tag vor dem Prozeß lungerte eine Handvoll Fotografen vor meinem Haus und erwischte mich, wie ich gerade Milch kaufen gehen wollte. Als ich mir die Hand vors Gesicht hielt, konnte ich mir bereits ausmalen, wie sich das in der morgigen Zeitung machen würde. Ich sah die Schlagzeilen schon vor mir:

    »Das verdeckte Gesicht der Anklägerin« – »Die streitbare Schwiegertochter«. Der Verhandlung selbst wohnte ich nicht bei. Der Prozeß dauerte nur einen Vormittag. Ich hatte das Haus sehr früh verlassen – noch vor sieben –, um der Presse zu entgehen, doch ein Journalist lauerte mir bereits um diese Uhrzeit auf.

    »Gehen Sie zum Prozeß?« rief er, aber ich trat so schnell ich konnte in die Pedale und sauste wortlos auf meinem Fahrrad an ihm vorbei.
    Auf dem Heimweg las ich an einem Zeitungsstand in Großbuchstaben: SCHRIFTSTELLER: »ICH TÖTETE
    MEINE TOCHTER«. Ich trat auf die Bremse und kaufte den Standard. Auf der ersten Seite prangte ein altes Foto, das einen gutaussehenden Alan zeigte. Mir brach der Schweiß aus, und mein Atem ging stoßweise.
    Ich radelte nach Hause und bekam vor lauter Nervosität das Fahrradschloß nicht zu. Durch den Briefkastenschlitz hatte der Postbote ein Päckchen gequetscht. Ich erkannte die Handschrift des Absenders: Es war von Paul. Das mußte sein Video sein. Auch das noch! Da es im Haus kalt war, machte ich, bevor ich in die Küche ging, erst einmal die Heizung an. Ich setzte den Wasserkessel auf und steckte zwei Scheiben Brot in den Toaster. Die Signallampe des Anrufbeantworters blinkte unablässig, aber ich kümmerte mich nicht darum. Wahrscheinlich waren es lauter Anfragen von Journalisten, die eine Stellungnahme von mir wollten. Die Zeitung hingegen, die noch immer gefaltet im Korb lag, wirkte wie ein Magnet auf mich. Aber ich blieb standhaft. Ich schmierte mir Orangenmarmelade (ich hatte sie letztes Jahr von Martha geschenkt bekommen) auf das Toastbrot und goß kochendes Wasser über einen Teebeutel. Im Mantel setzte ich mich an den Tisch und trank einen Schluck von dem dünnen Tee.
    Ich überflog den Artikel auf der Suche nach den wichtigen Einzelheiten. Alan hatte sich schuldig bekannt und es abgelehnt, strafmildernde Umstände geltend zu machen. Der Staatsanwalt hatte kurz die Beweislage dargelegt (die im wesentlichen auf Natalies Brief, wie und wo er gefunden worden war, und meinen Erinnerungen basierte). Abschließend erklärte der Staatsanwalt, daß anhand der vorliegenden Gutachten kein Grund zu der Annahme bestünde, daß Alan Martello nicht zurechnungs-fähig sei. Mit keinem Wort wurde erwähnt, daß Natalie von ihm schwanger gewesen war. Ich konnte mir nicht erklären, warum. Bevor der Richter das Urteil verkündete, hatte Alan lediglich eine einzige Aussage gemacht: »Ich büße für ein grauenhaftes Verbrechen, das jahrzehntelang auf meiner Familie gelastet hat.«
    Er weigerte sich, näher auf diesen Satz einzugehen oder sich zu der Sache ausführlicher zu äußern. Der Richter beschrieb den Mord eines Vaters an seiner Tochter als eines der abscheulichsten und schwersten Verbrechen.
    Durch die Weigerung Alan Martellos, Reue zu zeigen, und durch sein wenig kooperatives Verhalten während des Verfahrens habe er die Sache nur noch schlimmer gemacht. Alan wurde zu lebenslanger Haft verurteilt, von denen er mindestens fünfzehn Jahre zu verbüßen hatte.
    Ein großes Foto zeigte die finster dreinblickenden Martello-Brüder, die alle zum Prozeß gekommen waren.
    Sie hatten der Presse gegenüber jeden Kommentar verwei-gert. Der Standard bezeichnete ihre Haltung als »gefaßt, ja fast heldenmütig«.
    Claud hielt den weinenden Fred im Arm. Auf einem kleineren Foto war ich zu sehen, wie ich mit der Hand mein Gesicht verdeckte, und ein zurechtgeschnittenes Foto, das ich nie zuvor gesehen hatte, zeigte eine Porträtaufnahme von Natalie. Sie wirkte auf dem Bild jünger als fünfzehn und sah durchschnittlich hübsch aus.
    In ihrem Gesicht war nichts Bedrohliches oder Unheil-volles zu erkennen. Außerdem entdeckte ich einen zwei Seiten langen

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