Der Glaspavillon
Natalie, die auf dem Hügel gewesen war; das war immer ich gewesen, Natalies Freundin, ihre Doppelgängerin. Der alte Mann, der damals das Zelt abgebaut hatte, hatte mich gesehen; ich war es, die Natalie genannt worden war. In meinen Alpträumen hatte ich mich gesucht.
»Kim, kannst du mich bitte an der nächsten U-Bahn-Station absetzen?«
Wir fuhren gerade durch die Londoner Randbezirke, und ich wußte, wohin ich jetzt fahren mußte.
Kim sah mich erstaunt an, hielt aber an der nächsten Haltestelle prompt an. »Ich hoffe, du weißt, was du tust, Jane, denn ich weiß es mit Sicherheit nicht.«
Ich küßte sie auf die Wange und drückte sie ganz fest an mich.
»Ich weiß, was ich tue, zum erstenmal seit langer, langer Zeit weiß ich das. Ich muß unbedingt etwas herausfinden, und ich denke, es wird sehr schmerzlich sein.«
»Jane«, sagte Kim, als ich ausstieg. »Falls du das hier jemals hinter dich bringen solltest, dann schuldest du mir was. Und zwar einen großen Gefallen.«
39. KAPITEL
»Hallo?«
»Hallo, spreche ich mit Dr. Thelma Scott?«
»Ja.«
»Hier ist Jane Martello. Vielleicht erinnern Sie sich an mich, wir sind uns schon mal begegnet …«
Sie unterbrach mich, und ihre Stimme klang interessiert.
»Ja, ich erinnere mich.«
»Ich weiß, das klingt ein bißchen komisch, aber könnte ich vielleicht bei Ihnen vorbeikommen?«
»Wie? Jetzt gleich?«
»Ja, wenn das geht …«
»Es ist Samstagabend. Woher wissen Sie, daß ich keine Dinnerparty gebe oder vorhabe auszugehen?«
»Tut mir leid. Ich möchte Sie natürlich nicht stören.«
»Nein, ist schon in Ordnung, ich lese nur. Sind Sie sicher, daß es so wichtig ist? Können wir nicht einfach am Telefon darüber reden?«
»Wenn ich es Ihnen erzählt habe und Sie es nicht wichtig finden, dann können Sie mich ja wegschicken.
Geben Sie mir fünf Minuten.«
»In Ordnung. Wo sind Sie denn jetzt?«
»An der U-Bahn-Haltestelle Hanger Lane. Soll ich ein Taxi nehmen?«
»Nein, Sie sind schon ganz in der Nähe. Steigen Sie einfach in die U-Bahn nach Shepherd’s Bush.«
Sie gab mir eine kurze Wegbeschreibung, und wenige Minuten später bog ich bei der Wood Lane in eine ruhige Wohnstraße ein.
Auf mein Klingeln öffnete eine zierliche Frau mit hellwachem Gesicht; ich erinnerte mich noch genau an sie.
Heute trug sie allerdings Jeans und einen ausgesprochen bunten Pullover. Zwar lächelte sie ein wenig spöttisch, als entspräche mein Anblick genau ihren Erwartungen, aber ihr Händedruck war durchaus herzlich.
»Möchten Sie etwas essen?«
»Nein, danke. Ich habe keinen Hunger.«
»Dann müssen Sie mir wohl beim Essen zusehen.
Kommen Sie mit in die Küche. Rauchen ist leider nicht gestattet«, sagte sie, denn sie hatte die Zigarette in meiner Hand sofort bemerkt. Mit einer raschen Bewegung warf ich den Glimmstengel hinter mich auf den Weg. In der Küche goß sich Dr. Scott ein Glas Chianti ein; mir servierte sie das gewünschte Glas Leitungswasser.
»Da Sie nichts essen wollen, mache ich mir auch nur einen kleinen Imbiß«, meinte sie. »Also, worum geht es?
Warum wollten Sie mich sprechen?«
Während des Gesprächs bereitete sie eine große Auswahl kleiner Gerichte zu: Pistazien, Oliven mit Sardellen- und Chilifüllung, Tortillachips mit einem Guacamole-Dip aus dem Kühlschrank, Mozzarella und Parmaschinken mit einem großen Klecks Olivenöl.
»Sind Sie Psychoanalytikerin?«
»Nein, Psychiaterin. Ist das wichtig?«
»Sie wissen, was mir passiert ist, was ich getan habe, nicht wahr?«
»Ich glaube schon. Aber erzählen Sie es mir lieber noch einmal.«
Himmel, wie ich mich jetzt nach einer Zigarette sehnte!
Damit sie mir beim Nachdenken half und damit meine Hände was zu tun hatten.
»Seit November war ich bei Alex Dermot-Brown in Therapie. Ich hatte große emotionale Probleme, nachdem man die Überreste meiner Freundin Natalie gefunden hatte, die seit dem Sommer 1969 vermißt worden war.
Alex zeigte besonders großes Interesse, als ich ihm erzählte, daß ich zur Zeit des Verbrechens ganz in der Nähe war. Wir haben die Szene immer wieder durchge-arbeitet, sie visualisiert, und so kam mir allmählich wieder die Erinnerung. Ich war Augenzeugin. Ich habe gesehen, wie Natalie von ihrem Vater, meinem Schwiegervater Alan Martello, getötet wurde. Als ich Alan mit dieser Erkenntnis konfrontierte, hat er gestanden. Jetzt ist er …
na ja, das haben Sie sicher in der Zeitung gelesen.«
»Ja, allerdings.«
»Jetzt habe ich eine Frage, Dr.
Weitere Kostenlose Bücher