Der Glaspavillon
suchen, weil sie unmöglich hier sein konnte.«
Ich vergrub mein Gesicht in den Händen und starrte durch die Finger in die lehmige Grube. Regen lief mir über den Nacken. Ich versuchte es noch einmal: »Natalie ist vergraben worden, bevor sie starb.«
Oder: »Natalie wurde unter dem Grill vergraben; Natalie ist gestorben, nachdem der Grill fertig war; deshalb …«
Deshalb was? Ich kickte mit dem Fuß ein paar Steinreste in das Loch und stand auf. Kim wunderte sich sicher schon, wo ich blieb.
38. KAPITEL
Als ich in den Gasthof zurückkehrte, lag Kim auf dem Bett und studierte eine Landkarte. Bei meinem Anblick setzte sie sich auf.
»Du bist ja ewig weg gewesen. Du liebes bißchen, schau dir mal dein Gesicht an! Hast du ein Schlammbad genommen oder wie? Ist was passiert?«
»Nein, nichts. Ich weiß nicht.« Ich ging ins Badezimmer und wusch mir Gesicht und Hände. Als ich wiederkam, zog Kim sich gerade die Stiefel an.
»Willst du was essen?« fragte sie.
»Nein. Geh nur, wenn du Hunger hast.« Doch dann überlegte ich es mir anders und fügte schnell hinzu: »Hast du Lust auf einen Spaziergang?«
»Klar; auf der Karte habe ich einen fünfzehn Kilometer langen Wanderweg gefunden, der gleich unten an der Straße beginnt. Wenn wir die Strecke gehen, sind wir noch vor Einbruch der Dunkelheit zurück. Der Weg führt über Berg und Tal, und bei dem Wetter heute wird es bestimmt ziemlich matschig.«
Mit einem Blick auf meine Jeans meinte ich: »Na, ich denke, damit komme ich klar.«
Auf dem ersten Teil der Strecke sagte ich kein Wort, und wir erklommen den schmalen, steinigen Pfad ohnehin in einem solchen Tempo, daß ich vermutlich nicht gleichzeitig hätte wandern und sprechen können. Brombeerranken verfingen sich in meiner Kleidung, und Regen tropfte von den nassen Blättern. Schließlich wurde der Weg breiter, und wir kamen auf eine Anhöhe, von der man bei schönem Wetter sicher einen guten Ausblick gehabt hätte.
»Ich bin vollkommen durcheinander«, begann ich.
»Weshalb?«
»Anfangs war alles klar, genauso wie ich es erwartet hatte – natürlich, schließlich kenne ich Stead wie mein eigenes Zuhause. Ich hab mich einfach ein bißchen umgesehen, du weißt schon, die ganzen alten Erinnerungen …« Kim nickte, sagte aber nichts. »Dann bin ich zu der Stelle zurückgegangen, an der es passiert ist.« Es war merkwürdig, ich brachte es immer noch nicht fertig zu sagen ›wo Alan Natalie ermordet hat‹. »Seit sechsund-zwanzig Jahren bin ich nicht mehr dort gewesen.« Ich kletterte über einen Baumstamm, der quer über dem Pfad lag, und wartete, bis Kim mich eingeholt hatte. »Und als ich zu der Stelle kam, merkte ich, daß alles falsch war. Ich habe mich falsch erinnert.«
»Warum überrascht dich das so? Du hast doch selbst gesagt, daß du fast dreißig Jahre nicht mehr dort warst. Es ist ganz normal, daß du dich nicht erinnerst.«
»Nein. Ich habe mich erinnert – aber falsch. Verstehst du nicht, Kim? Ich bin mit Alex in Gedanken so oft durch diese Landschaft gegangen, aber als ich jetzt tatsächlich dorthin zurückkehrte, da war alles anders! Ich meine, verkehrt herum. Oh, verdammter Mist, ich weiß nicht.«
Ich zog ein feuchtes Päckchen Zigaretten aus der Jackentasche und zündete mir, während wir weitergingen, eine an.
»Nur damit ich dich richtig verstehe, Jane – willst du damit sagen, daß der Weg, den du Stück für Stück mit Alex erforscht hast, der falsche war?«
»Nein, nein, das meine ich nicht. Ich bin den richtigen Weg gegangen, jedes Detail stimmte – aber es war eben alles verkehrt herum.«
»Ich glaube, ich kapier das nicht. Was soll das denn heißen?«
»Ich weiß es selbst nicht. Ich bin total verwirrt, Kim.
Und das ist noch nicht alles.«
»Wie, nicht alles?« Kim war so entnervt, daß sie mich fast anschrie.
»Nicht nur, daß der Weg andersrum verlief, als ich dachte, ich habe noch etwas anderes herausgefunden – und ich weiß nicht, warum bis jetzt niemand darauf gekommen ist. Dabei ist es eigentlich ganz naheliegend.«
»Was denn? Verdammt noch mal, Jane, hör auf, in Rätseln zu sprechen! Mach endlich den Mund auf und erklär es mir!«
»Okay. Also: Ich saß da und las das Tagebuch, das Claud mir gebracht hat. Und das beschreibt genau den Zeitraum vor Natalies Tod.«
»Aha.«
»Tja, in meinem letzten Eintrag – den ich am Tag vor Natalies Ermordung gemacht habe – schreibe ich, daß der Grill noch nicht fertig ist. Der Grill, den Jim Weston für die
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