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Der Glaspavillon

Titel: Der Glaspavillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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davonlaufen. Sieh dich mal im Spiegel an: Du bist nicht bloß müde, sondern vollkommen erschöpft. Du hast Claud verlassen, und deine Söhne haben dich verlassen, du hast Natalies Überreste gefunden. Innerhalb weniger Wochen hat sich alles in deinem Leben verändert, und das ist mehr, als du ertragen kannst. Verlang nicht so viel von dir. Wenn du meine Patientin wärst, würde ich dir raten, professionelle Hilfe zu suchen.«
    »Was willst du damit sagen?«
    »Ich glaube, du solltest zu einem Therapeuten gehen«, erklärte Kim. »Du stehst unter Schock. Vielleicht hilft dir ein Gespräch.«
    Ich putzte mir die Nase und wischte mir das Gesicht ab.
    Dann zündete ich mir noch eine Zigarette an. Wir tranken Tee, aßen Kekse und spielten eine Partie Schach, die ich wie üblich verlor.
    Wieder fing ich an zu weinen. Ich schluchzte mein ganzes Elend heraus, jammerte, wie sehr ich Claud und meine Jungen vermißte, und daß ich nicht wüßte, was ich mit meinem Leben anfangen sollte, bis Kim mich schließlich wie ein Kind ins Bett brachte und neben mir sitzen blieb, bis ich eingeschlafen war.

    5. KAPITEL
    Sie war jünger, als ich erwartet hatte. Und sie war eine Frau. Meine Überraschung spiegelte sich offensichtlich in meinem Gesicht wider.
    »Alles in Ordnung?« fragte sie.
    »Entschuldigung«, sagte ich. »Ich habe wahrscheinlich einen alten Mann mit weißem Bart und Wiener Dialekt erwartet.«
    »Fühlen Sie sich bei einer Frau unwohl?«
    »Na ja, ich hatte noch nicht einmal Gelegenheit, mich zu setzen, Dr. Prescott.«
    Dr.
    Prescotts ohnehin beeindruckende Erscheinung wurde durch ihre Körpergröße von mindestens einsachtzig noch unterstrichen. Sie hatte eine blasse, fast schon durchsichtige Haut und eine lange, spitze Nase. Ihr welliges braunes Haar war sicher lang, aber so geschickt frisiert, daß sich nur im Nacken ein paar Strähnen kräuselten, was ihr eine gewisse Ähnlichkeit mit den Brontë-Schwestern verlieh. Eine ziemlich kräftige, gesunde, elegant gekleidete Brontë-Schwester. Ich hatte auf meiner Fahrt von Waitrose zum geplanten Bauplatz des Wohnheims bei ihr haltgemacht und war ein wenig eingeschüchtert von ihrem schicken Kostüm. Und ziemlich beschämt, weil ich mich einschüchtern ließ.
    Hatte ich erwartet, daß Therapeutinnen sich in lange, wallende Gewänder hüllen und Räucherstäbchen anzünden?
    »Muß ich ein Formular oder so was ausfüllen?«
    »Jane – erlauben Sie, daß ich Sie so nenne?«
    Dr. Prescott schüttelte mir die Hand und hielt sie lange fest, als prüfe sie ihr Gewicht. »Ist ein offizieller Rahmen für Sie wichtig?«
    »Gehört das zur Therapie?«
    »Wie meinen Sie das?«
    Ich sagte lange nichts und atmete tief ein und aus. Ich stand immer noch, und meine Psychoanalytikerin hielt immer noch meine Hand.
    »Entschuldigen Sie, Dr. Prescott«, begann ich langsam.
    »Mein Leben ist im Augenblick ziemlich verworren. Eine Freundin, die Ärztin ist und der ich mehr als jedem anderen auf der Welt vertraue, meinte, ich befinde mich in einer Krise. Außerdem habe ich heute einen ziemlich hektischen Tag. Ich war schon in aller Herrgottsfrühe bei Waitrose und habe meine Einkäufe erledigt. Dann bin ich nach Hause gehetzt, habe alles abgeladen – da fällt mir ein, ich habe die Eiskrem nicht in den Gefrierschrank gelegt –, und bin anschließend sofort hierhergerast. Sobald ich hier fertig bin, muß ich zu einer Baustelle, wo ich mich mit einer Beamtin aus dem Planungsreferat treffe, die mir erklären wird, daß an dem Entwurf verschiedene Änderungen vorgenommen werden müssen, weil er sonst nicht genehmigt werden würde. Und das ist nur der Anfang eines Projekts, das mir sehr am Herzen liegt und an dem ich nun wahrscheinlich verzweifeln werde.
    Jetzt bin ich in Ihrer Praxis, und ich hatte gehofft, hier so etwas wie einen Zufluchtsort zu finden, an dem ich meine Probleme loswerden kann. Ich hatte die vage Vorstellung, daß wir erst mal darüber reden, was mir eine Therapie bringen kann, über grundsätzliche Regeln sprechen und festlegen, worüber wir uns unterhalten sollten. So oder ähnlich. Aber im Augenblick möchte ich mich eigentlich nur hinsetzen und irgendwie vernünftig anfangen.«
    »Dann setzen Sie sich doch, Jane.«

    Dr. Prescott deutete auf die ramponierte Couch, über die eine orientalisch aussehende Decke gebreitet war. Rasch blickte ich mich im Zimmer um. Zweifellos war jedes Detail bewußt angeordnet. Am Kopfende der Couch stand ein Lehnstuhl. Ein Mark-Rothko-Poster

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