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Der Glaspavillon

Titel: Der Glaspavillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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dem Taxi sind es keine zehn Minuten von hier.«
    Zu Hause zog ich alle Vorhänge zu, legte Musik auf und drehte sogar den Dimmer herunter. Ich füllte zwei Gläser mit Wein und setzte mich neben William aufs Sofa. Mein Mund war trocken, und das Blut pochte in meinen Schläfen. William legte eine Hand auf mein Knie. Ich blickte auf die ungewohnten, dicken Finger. Aus den Augenwinkeln sah ich den Anrufbeantworter, der mir zublinkte, daß Nachrichten eingegangen waren. Ich hatte vergessen, meinen Vater anzurufen. Ich drehte mich zu William, und wir küßten uns. Sein Atem roch sauer. Ich spürte, wie seine Hand unter meinen Rock glitt und sich an meinem bestrumpften Bein hochschob. Wie oft er so was wohl tat? Ich wich zurück und sagte: »Ich bin aus der Übung. Ich weiß nicht mehr, wie es geht«, woraufhin er nur den Kopf schüttelte und mich erneut küßte.
    »Wo ist das Schlafzimmer?« flüsterte er.
    Er zog die Schuhe aus und stopfte die Socken ordentlich hinein. Ich schlüpfte aus der Jacke und begann meine Bluse aufzuknöpfen. Inzwischen öffnete er die Gürtelschnalle, stieg aus der Hose und legte sie sorgsam zusammengefaltet auf einen Stuhl. Plötzlich durchzuckte mich ein heftiger Widerwille ihm gegenüber, aber gleichzeitig verspürte ich ein gedämpftes Verlangen. Mir war eiskalt, als ich die Bluse auszog, ich fühlte mich schrecklich unbeholfen. Während ich den Büstenhalter öffnete, fiel mein Blick in den Spiegel: Auf meinen Brüsten waren leichte Dehnungsstreifen zu sehen, und über meinen Bauch zog sich die Kaiserschnittnarbe von Jeromes Geburt. Seit Oktober hatte ich abgenommen; meine Arme waren dünn, meine Handgelenke knochig.
    Ich wandte mich zu William um, der in Unterhosen dastand.
    »Was soll ich jetzt tun?«
    »Leg dich aufs Bett. Ich will dich anschauen. Du bist wunderschön, weißt du das?«
    Ich zog meinen Slip aus und legte mich ausgestreckt mit geschlossenen Augen auf das breite Bett. Eine Mischung aus Erregung und Verlegenheit ergriff mich, während Williams Hände langsam über meinen Körper wanderten.
    Ich hörte das Telefon klingeln und das Klicken des Anrufbeantworters, und dann drang die Stimme unüberhörbar aus dem Erdgeschoß ins Schlafzimmer: »Mama, hallo, ich bin’s, Robert. Es ist Donnerstag abend. Ich wollte nur wissen, ob bei dir alles okay ist. Laß mal hören, was du so machst.« Was ich so machte? Das hätte ich selbst nur zu gerne gewußt.
    Ich erzählte Kim an jenem Abend nicht viel von William, außer daß ich nach zwanzig Jahren das erste Mal mit jemand anderem als Claud Sex gehabt habe und es ganz in Ordnung war, wenn auch etwas nervenaufreibend.
    »Die ganze Zeit habe ich mir vorgestellt, daß die Haustür aufgeht und Claud reinkommt.«
    »Hast du wenigstens Spaß gehabt?« Kim sah mich seltsam an.
    »Ja, irgendwie schon. Ich meine, er war ganz nett, ich hab’s genossen. Aber am nächsten Tag kam es mir etwas seltsam vor. Dieses Gefühl habe ich immer noch. Es ist so, als wäre es gar nicht mir passiert, sondern jemand anderem.«
    »Komm, Jane.« Kim stand auf. »Ich bring dich nach Hause.«
    Ich kochte Kaffee, und Kim zündete ein Feuer im Kamin an. Das machte sie schon immer gerne, sogar in unserer Studentenzeit. In meinem letzten Jahr an der Universität wohnten wir zusammen in einem Haus, und Kim saß stundenlang vor dem Feuer, starrte hinein und legte Holz nach. Als hätte sie meine Gedanken geahnt, meinte sie:
    »Ist dir eigentlich klar, Jane, daß wir uns länger als die Hälfte unseres Lebens kennen?«
    Ich wollte etwas erwidern, schwieg dann aber doch. Kim ging neben meinem Stuhl in die Hocke, nahm meine Hände und blickte mich lange an.
    »Sieh mich an, Jane«, sagte sie.
    Ich starrte in ihre klugen Augen. Sie zog ein Taschentuch hervor und wischte die Tränen weg, die mir die Wangen hinunterrannen.
    »Deine Wimperntusche zerläuft«, stellte sie trocken fest.
    »So wirst du bei keinem Mann Eindruck schinden, es sei denn, du willst mit einem Zebra ausgehen.«
    »Ich weiß gar nicht, weshalb ich weine«, schluchzte ich.
    Der Schmerz lag in meiner Brust wie ein dicker Klumpen.
    »Ich bin nur so müde. Ehrlich, ich bin einfach müde. Die vergangenen Wochen haben eine Menge in mir aufgewühlt.«
    »Jane«, sagte sie, »jetzt hör mir mal zu. Du ißt nicht mehr. Du rauchst wie ein Schlot. Du trinkst viel mehr als sonst. Du arbeitest zehn, zwölf Stunden am Tag. Du kannst nicht richtig schlafen. Du gehst Abend für Abend aus, als würdest du vor etwas

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