Der Glaspavillon
gestorben war, suchte Dad nach einem Erinnerungsfoto, auf dem sie gut getroffen war. Doch sie war immer nur im Profil zu sehen.
Von Paul und mir gab es unzählige Bilder: als Babys mit rundem Bäuchlein und nackten Beinen, feierlich ernst im Alter von sechs oder sieben, linkisch mit dreizehn, eingefangen von der Kamera, eingeklebt in Dads Fotoalbum und von ihm in schnörkeliger Handschrift kommentiert. Auf einem Bild standen Natalie und ich als Achtjährige Hand in Hand vor Stead und starrten in die Linse. Wir sahen uns damals recht ähnlich, obwohl ich ängstlich lächelte und Natalie finster dreinblickte. Natalie lächelte selten, und schon gar nicht, um jemandem einen Gefallen zu tun. Ich nahm dieses Foto mit und dazu noch eines, das ungefähr eine Woche vor Natalies Tod aufgenommen worden war. Darauf trug sie ein ärmelloses TShirt und abgeschnittene Jeans, saß auf dem Rasen des Hauses und las ein Buch. Sie hatte die schlaksigen Beine angezogen, eine Locke fiel ihr in das blasse Gesicht. Sie war vollkommen in das Buch vertieft. Waren die letzten Worte, die wir gewechselt hatten, freundlich gewesen, oder hatten wir gestritten? Ich wußte es nicht mehr. Woran erinnerte ich mich überhaupt? Beispielsweise hatte ich nicht vergessen, wie ich mit ihr in Forston – in der Nähe von Kirklow – auf eine Party ging. Wir waren damals ungefähr vierzehn. Ich erzählte ihr von einem Jungen und wie ich mich darauf freute, ihn wiederzusehen. Wie hieß er gleich? Er hatte blondes, in der Mitte gescheiteltes Haar. Nach einer Weile verschwand Natalie. Als ich später durchs Haus schlenderte, stolperte ich nahezu über sie und den blonden Jungen, die engumschlungen auf dem Boden lagen. Sie waren die ganze Zeit zusammen, und der Abend schien kein Ende zu nehmen. Um elf Uhr holte Alan uns in seinem Rover ab. Ich saß hinten, am Boden zerstört. Da rutschte Natalie zu mir herüber, schlang wortlos die Arme um mich und drückte mich an sich. Ich roch das Patschuli-Parfüm des Jungen in ihrem Haar. Vergab ich ihr oder sie mir?
Einen Monat nachdem wir Natalie gefunden hatten, war ich zu einer Vernissage eingeladen, wo ich William wiedersah, einen Anwalt, der früher mit einer Frau verheiratet gewesen war, zu der ich schon seit langem keinen Kontakt mehr hatte.
William war groß, blond und gutaussehend, aber nicht auf Wirkung bedacht. Ich hatte ihn als schlanken Mann in Erinnerung, mittlerweile hatte er jedoch einen unüber-sehbaren Bauchansatz. Wir schlenderten durch die Galerie, langstielige Gläser mit Sekt in den Händen, und sahen uns die großen, eklektizistischen Gemälde an. Der Sekt wirkte entspannend auf mich. Ich erzählte William vom Ende meiner Ehe, worauf er wissen wollte, weshalb ich Claud verlassen hatte.
»Ich glaube«, antwortete ich zögernd, »der Gedanke, daß dies mein Leben sein sollte, war für mich unerträglich.
Aber das ist alles schwer in Worte zu fassen.«
Er erzählte mir, daß er sich vor sieben Jahren von Lucy getrennt hatte und seine Tochter jedes zweite Wochenende besuchte. Sie waren auseinandergegangen, weil er eine Affäre mit einer Frau aus seinem Büro gehabt hatte.
»Ich weiß gar nicht, weshalb ich mich darauf einließ«, erklärte er. »Es war wie eine Besessenheit, wie ein Erdrutsch, der mich mitgerissen hat.«
Als ich sagte, diese Entschuldigung hätte ich schon einmal gehört, lächelte er traurig.
»Himmel, Jane, das weiß ich«, antwortete er. »Als Lucy wegging, habe ich mir die andere Frau angesehen und sie nicht mal das kleinste bißchen begehrt, überhaupt nicht.
Aber ich habe meine Ehe zerstört und mein einziges Kind verloren.«
Er starrte auf ein Bild, das nur aus einem riesigen, orangefarbenen Farbklecks bestand.
»Ich hasse mich dafür«, bekannte er.
Aber das war wohl ein wenig übertrieben. Er führte mich in eine Kellerbar und bestellte eine Flasche trockenen Weißwein und etwas zum Knabbern. Dann erzählte er mir, er hätte mich auf Anhieb wiedererkannt und mich schon immer attraktiv gefunden. Mittlerweile war ich zwar etwas beschwipst, aber gleichzeitig fast unheimlich klar im Kopf. Ich konnte es wagen, dachte ich. William war kein Mann, der tiefe Spuren hinterlassen würde. Trotzdem war ich nervös. Ich rauchte, spielte mit meinem Haar, aß ein paar Erdnüsse und trank ein weiteres Glas. Als wir die Flasche geleert hatten und William mich fragte, ob ich noch eine wollte, hörte ich mich sagen: »Weshalb kommst du nicht mit zu mir und trinkst dort noch was? Mit
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