Der Glaspavillon
verheiratet zu sein und keine Kinder zu haben. Dann könnte ich mich ganz spontan entschließen, ins Kino oder auf ein Bier in die Kneipe zu gehen. Wenn ich gelegentlich auf einer Party eine Frau kennenlerne, dann stelle ich mir vor, daß ich mit ihr eine aufregende Affäre haben könnte, wenn ich frei wäre. Aber wäre ich tatsächlich ungebunden, sähen die Dinge garantiert anders aus. Anfangs wäre ich vielleicht euphorisch und hätte möglicherweise sogar das eine oder andere sexuelle Abenteuer. Aber ich bezweifle, daß es so viel Spaß machen würde wie ursprünglich angenommen. Außerdem wäre Schluß mit all dem, woran ich mich gewöhnt habe.
Und auch die Gewohnheit, nach Hause zu kommen und jemanden anzutreffen, der mir vertraut ist, wäre dahin.
Das käme mich hart an.«
»Ich dachte, ich sollte reden.«
Alex lachte wieder.
»Wer sagt das? Sie haben wahrscheinlich zuviel Freud gelesen. Ich an Ihrer Stelle würde nicht zuviel auf einen Mann geben, der sich selbst und seine Tochter analysiert hat. Erstens haben Sie sowieso schon genug um die Ohren, und zweitens haben Sie eine nicht unerhebliche Familien-tragödie zu verarbeiten. Sie haben unbestreitbar das Recht, eine Zeitlang unglücklich zu sein. Soll ich einen Zauberstab nehmen und sie von allen Problemen erlösen?«
»Das klingt verlockend.«
»Ich möchte Ihnen eine oberflächliche Diagnose anbieten, Jane, und zwar auf meine Kosten. Ich glaube, Sie sind eine starke Frau, die nicht das Gefühl haben möchte, sie könnte etwas nicht bewältigen, und die es auch nicht mag, wenn Leute sie bemitleiden. Darin liegt ihr Problem. Mein Kommentar dazu lautet: Das Leben ist schmerzhaft.
Akzeptieren Sie das. Sie können natürlich mit mir reden, aber Sie können Ihr Geld ebensogut anders ausgeben. Zum Beispiel für eine Massage pro Woche oder für ein schönes Abendessen in einem Restaurant. Oder für eine Ferienreise in wärmere Gefilde.«
Jetzt mußte ich lachen.
»Das klingt noch verlockender.«
Wir lächelten beide, und es folgte ein recht peinliches Schweigen, das ich unter anderen Umständen vielleicht gebrochen hätte, indem ich Alex geküßt hätte.
»Alex, ich sage höchst ungern ›im Ernst‹, … aber im Ernst, ich habe mich gestern abend mit meinem Bruder unterhalten, der zufällig die verrückte Idee hat, einen Film über die Familie zu drehen. Also werden Sie auf BBC 2
wahrscheinlich bald alles über meine Probleme erfahren können. Paul – so heißt mein Bruder – hat von unserer goldenen Kindheit gesprochen. Bisher hatte ich stets dieses Bild der unbeschwerten Jahre vor Augen, aber als er so nostalgisch davon schwärmte, wehrte sich etwas in mir und schrie ›nein, nein, nein‹. Die ganzen letzten Tage ließ mich eine Sache nicht los. Sicher hat das alles mit der Entdeckung von Natalie zu tun. Aber ich habe mir meine himmlische Kindheit vorgestellt, und sie hatte in der Mitte ein schwarzes Loch. Aber ich kann’s nicht richtig sehen und weiß nicht, was es ist. Es liegt immer am Rand meines Blickfelds, und sobald ich mich umdrehe, um es direkt anzusehen, ist es wieder an den Rand gerutscht. Es tut mir leid, das klingt wahrscheinlich alles unsinnig. Ich verstehe es selbst nicht recht. Vielleicht können Sie sich das vorstellen: Ich höre mich sprechen und versuche gleichzeitig, mich zu verstehen. Ich bitte Sie, meinem Gefühl zu trauen, daß sich hinter all dem etwas verbirgt, was man sich unbedingt ansehen sollte.«
Während dieser ganzen langen, zusammenhanglosen Rede starrte ich auf den Tisch und blickte erst auf, als ich fertig war. Fast fürchtete ich Alex’ Blick. Er runzelte die Stirn und sah so konzentriert aus, wie ich es wohl noch nie bei einem Menschen erlebt hatte.
»Vielleicht haben Sie recht«, murmelte er.
Dann nahm er unsere beiden Becher und stellte sie ins Spülbecken, doch anstatt sich wieder hinzusetzen, begann er auf und ab zu gehen. Da ich nicht wußte, ob ich etwas sagen sollte, schwieg ich. Schließlich setzte er sich wieder.
»Wahrscheinlich haben Sie die falschen Vorstellungen von einer Therapie. Vielleicht haben Sie Filme gesehen, in denen die Probleme eines Menschen auf dramatische Weise gelöst wurden.
Oder Sie haben Freunde, die von der Analyse abhängig sind und Ihnen erzählen, wie herrlich es ist, die eigenen Schwierigkeiten besser zu verstehen, und um wieviel glücklicher sie dadurch sind. Nicht auszuschließen, aber wenn man fünf Jahre lang drei Stunden pro Woche auf der Couch verbringt und
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