Der Glaspavillon
den Ellbogen Löcher hatte, durch die ein kariertes Hemd lugte. Er hatte ein schroffes Kinn, fast wie Superman in dem alten Comic, braune, wellige Haare mit grauen Strähnen und sehr dunkle Augen.
»Sie sind Dr. Dermot-Brown?«
Er lächelte und streckte mir die Hand entgegen.
»Jane Martello?«
Er bat mich herein, und wir gingen eine Treppe hinunter zur Küche im Untergeschoß.
»Möchten Sie einen Kaffee?«
»Gern, aber sollte ich nicht eigentlich in Ihr Sprechzim-mer gehen und mich auf eine Couch legen?«
»Tja, wir finden bestimmt irgendwo im Haus eine Couch, wenn Sie das unbedingt möchten. Aber ich dachte, wir sollten uns erst mal ein bißchen unterhalten und uns kennenlernen.«
Die Küche mit dem gefliesten Boden hätte durchaus elegant gewirkt, wenn sie leer gewesen wäre. Aber überall lagen Spielsachen herum, die Wände waren tapeziert mit Plakaten, Postkarten und Kinderzeichnungen, befestigt mit Stecknadeln, Klebestreifen und blauen Reißzwecken. Die Korktafel über den Arbeitsflächen stand den Wänden in nichts nach und quoll über von übereinandergehefteten Handzetteln mit Heimserviceangeboten verschiedener Restaurants, Einladungen, Schulinformationen und Schnappschüssen. Dermot-Brown sah meinen verblüfften Blick.
»Entschuldigung, ich hätte aufräumen sollen.«
»Macht doch nichts. Aber ich dachte immer, Psychoanalytiker müßten in neutraler Umgebung arbeiten.«
»Verglichen mit meinem Büro ist das hier eine neutrale Umgebung.«
Er nahm Kaffeebohnen aus dem Kühlschrank, mahlte sie, schüttelte sie in eine Kaffeekanne und goß kochendes Wasser drüber. Dann kramte er in einem Schrank.
»Ich müßte Ihnen eigentlich ein paar Kekse anbieten, aber ich sehe hier bloß Dauerbrezen. Ein Stück pro Kind, bleibt noch eine übrig. Möchten Sie sie?«
»Nein, danke. Ich nehme nur Kaffee. Schwarz, bitte.«
Er goß Kaffee in zwei Becher, und wir setzten uns an den Küchentisch aus Kiefernholz. Ein Lächeln lag auf Dermot-Browns Gesicht, als amüsierte ihn die ganze Situation und als gäbe er nur vor, erwachsen zu sein.
»Also, Jane – darf ich Sie Jane nennen? Ich bin Alex –, weshalb glauben Sie, daß Sie eine Therapie brauchen?«
Mit dem ersten Schluck Kaffee stellte sich prompt das übliche überwältigende Verlangen nach einer Zigarette ein.
»Darf ich rauchen?«
Alex lächelte wieder.
»Tja, Jane, ich betrachte die Therapie als eine Art Spiel, das nur funktioniert, wenn wir uns auf ein paar Grund-regeln einigen. Eine davon ist, daß Sie nicht rauchen. Hier im Haus wohnen Kinder. Außerdem haben die Sitzungen dann wenigstens in dieser Hinsicht einen Nutzen, sollten sie ansonsten uneffektiv bleiben. Und es hat noch einen Vorteil: Ich kann ohne weiteres an dieser Regel festhalten, weil ich selbst nicht rauche. Damit besteht eine reelle Chance, daß ich entspannt bin, während Sie nervös unter dem Nikotinentzug leiden – und das ist mindestens ebensogut. Wenigstens für mich.«
»In Ordnung, dann also keine Zigarette.«
»Gut, dann erzählen Sie doch mal was von sich.«
Ich holte tief Luft und legte ihm meine Situation in groben Zügen dar; dabei trank ich eine zweite Tasse Kaffee, die Ellbogen auf den Tisch gestützt. Ich erzählte ihm von meiner Trennung und wie ich Natalies Überreste entdeckt hatte. Dann sprach ich kurz über die Familie Martello, diese wunderbaren, großherzigen Menschen, die einem den Eindruck vermittelten, es sei ein Privileg, wenn man in ihren Kreis aufgenommen wurde. Ich beschrieb mein Singledasein hier in London und seine Nachteile, ohne allerdings mein sexuelles Abenteuer zu erwähnen.
Ich redete ziemlich lange. Alex wartete eine Weile, bevor er antwortete, und bot mir dann noch eine Tasse Kaffee an. Ich war ein wenig enttäuscht.
»Nein danke. Wenn ich zuviel trinke, fange ich an zu zittern.«
Nervös ließ er den Finger am Becherrand entlang-wandern.
»Jane, Sie haben meine Frage nicht beantwortet.«
»Doch. Ich habe gesagt, ich möchte keinen Kaffee mehr.«
Alex lachte. »Nein, ich meine, weshalb haben Sie das Gefühl, eine Therapie zu brauchen?«
»Liegt das nicht auf der Hand?«
»Nicht für mich. Sie müssen nach – wie vielen? –
fünfundzwanzig Jahren Ehe plötzlich allein mit Ihrem Leben fertig werden. Haben Sie früher jemals allein gelebt?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Willkommen in der Welt der Singles«, sagte Alex mit einem ironischen Unterton. »Wissen Sie, manchmal gebe ich mich Phantasien hin, wie es wohl wäre, nicht
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